Ernährungsdebatte im TV

Sehr interessante Sendung. Hab sie mit regem Interesse angesehen.
Nur ein recht entscheidendes Phänomen wurde nicht angesprochen, das gleichsam symptomatisch für die Ernährungsdebatte selbst ist:
Da sitzen sechs schlaue Leute. Keiner von ihnen ist dumm. Keiner hat wiederum die Weisheit mit Löffeln gefressen (wäre das möglich, wäre das mal ein echter Ernährungstipp). Jeder gibt die Erkenntnisse seines Wissensbereiches wieder. Hier wird widersprochen, dort unterstützt, und am Ende ist niemand schlauer als zuvor.

Wer aufmerksam zugehört hat, konnte ein paar Dinge extrahieren, aber nur dann, wenn er in der Materie so weit bescheid weiß, dass er sich auch ohne Experten selber das meiste zusammenreimen kann.

Ich persönlich hab zwei Aussagen sehr interessant gefunden.

Die eine des Kochs/Physikers, dass Mahlzeiten, die für den einen Hunger vertreiben, diesem bei anderen erst aufbauen. Mir geht's da ähnlich. Die Aussage, man solle statt weniger großer Mahlzeiten viele kleine essen, ist also keine globale Empfehlung.

Sehr anregend war aber auch der Rat der Psychologin, man solle nicht verschiedene Gefühle (Hunger, Müdigkeit, Durst) verwässern und immer die selbe Antwort, nämlich essen wählen, sondern sich bewusst wahrnehmen. Wenn ich allein schon überlege, wie oft Stress zu Müdigkeit umdeklariert wird und deshalb Menschen keinen Sport treiben, dann finde ich das schon einleuchtend. Das individuelle Wohlbefinden wäre sicher höher, wenn Menschen den entsprechenden Mangel mit dem richtigen Mittel ausgleichen, statt mit dem falschen Mittel noch zu verstärken.

Aber auch generell ist eine bewusste Wahrnehmung nicht verkehrt. Das schwingt ja in diesen glorifizierten Begriffen Schnelllebigkeit und Multitasking immer mit, dass man etwas nicht wahrnimmt, weil man nicht Zeit und Sinne darauf verwendet. Kein Wunder also, dass man sich mit solchem Übermaß Sinneseindrücke verstärken muss, weil der Feinsinn nicht ausgeprägt ist. Musik muss laut aus den Kopfhörern dröhnen, Fotos mit Farbe und Schärfe übersättigt werden, Essen mit Geschmacksverstärkern angereichert werden. Wir stumpfen einfach ab.

Der Kampf mit Diäten krankt deshalb schon daran, dass man beispielsweise bei Milch mit 1,5% Fettanteil nicht in der Lage ist, die 1,5% herauszuschmecken, was mir als Magermilchtrinker mittlerweile problemlos möglich ist, sondern nur unbefriedigt die fehlenden 2% schmeckt. Fettarme Joghurts brauchen Aromen und Süßstoffe, weil der Gaumen sich an eien Überfluss an geschmeckter Süße und Aroma gewöhnt hat.
Das Resultat: Kaum jemand kann all die Geschmacks-Nuancen einer regelmäßig verzehrten Mahlzeit beliebig gedanklich reproduzieren, wenn er nicht gerade wähend des Verzehrs dazu aufgefordert wird. Ein Lied können viele erraten, aber verbinde mal jemand die Augen und lass ihn raten, was er gerade unbekannterweise auf der Zunge hat.
Wie Hunger sich wirklich anfühlt wissen wir auch kaum noch, weil wir schon bei Appetit anfangen, uns über das nächste Mahl herzumachen. Wer anfängt, wieder bewusster wahrzunehmen, dessen leben wird nicht durch Mangel bestimmt, sondern der macht aus vermeindlich weniger mehr.
 
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