In Paris tobt die „Vélorution“
Frankreich hat eine neue Revolution. Auf der Straße versammeln sich immer mehr ihrer Anhänger, um ein Ziel zu erreichen: die Fahrradstation. Wie, Station? Nicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ? Nein, diese Revolution hat einen weniger idealistischen sondern eher pragmatischen Hintergrund: das Fahrrad als neues, öffentliches Transportmittel. Und so heißt die neue Bewegung, die die Hauptstadt der Grande Nation seit einiger Zeit aufmischt, auch ganz einfach: Vélorution.
Wer sich in Paris morgens während der Rushhour in die Metro wagt, dem wird schnell klar, warum ein paar Fahrräder für so viel Aufregung sorgen. Millionen von Menschen pendeln täglich in den innerstädtischen Zirkel zur Arbeit. Für den Großteil dieser Pendler existiert Paris nur unterirdisch in den Metro-Verbindungsgängen. Diese verwandeln sich in reißende Ströme von Menschenmassen, von deren Sog man unweigerlich mitgerissen wird. Die Folge: Stress, Reizüberflutung, Schweißausbrüche.
Der neue Trend heißt Vélib
Seit diesem Sommer bietet die Stadt Paris all jenen, die sich doch lieber bei Tages- und nicht bei Neonlicht fortbewegen möchten, einen guten Ersatz. Vélib, so heißt das neue Fahrradausleihsystem, das Parisern wie Touristen ermöglicht, die Stadt aus einer anderen Perspektive zu erkunden. Seit Mitte Juli werden nach und nach 20.600 Fahrräder in ganz Paris verteilt, eine wahre „Vélorution“, wenn man bedenkt, dass 50.000 bis 90.000 Menschen täglich die „Vélib“-Räder nutzen.
Das System ist im Grunde ganz einfach, nachdem man das typisch französisch-komplizierte Anmeldeverfahren hinter sich gebracht hat. An fast jeder Straßenecke stehen so genannte „Vélib“-Stationen, an denen Fahrräder ausgeliehen werden können. Per Touchscreen an elektronischen Säulen kann man dort ein Tages- oder Wochenabonnement kaufen, das jeweils eins bzw. fünf Euro kosten. Nötig ist hierfür eine Kreditkarte. Aber nicht erschrecken, wenn zunächst 150 Euro abgebucht werden sollen. Diese werden nur vom Konto abgehoben, wenn das Fahrrad nach Ablauf des Abos nicht zurückgegeben wurde.
Nach der Anmeldung wird eine Abonnenten-Nummer ausgedruckt, mit der man in den folgenden Stunden oder Tagen an allen „Vélib“-Stationen Räder ausleihen kann. Die erste halbe Stunde jeder Fahrt ist gratis, die zweite halbe Stunde kostet ein Euro, die dritte halbe Stunde noch mal zwei Euro und jede weitere halbe Stunde jeweils vier Euro. Um also die Kosten niedrig zu halten, sollte man das Fahrrad nach 25 Minuten wieder per Einrasten in dafür vorgesehene Halter an einer Station abstellen und nach ein paar Minuten erneut mit seiner Abonnenten-Nummer über die elektronische Säule ausleihen.
Vorsicht bevor es kracht
Doch bevor die Fahrt losgeht, sollte man sich auf einige Verhaltensregeln einstellen, die in Deutschland nicht so genau genommen werden. Auf dem Gehweg fahren, noch schnell über die rote Ampel; gegen die Einbahnstraße, durch die Fußgängerzone, all das sollte hier unterlassen werden. Zum einen kostet dies an die 90 Euro und die Polizei ist bereits als Fahrradschreck bekannt, zum anderen kann es lebensgefährlich sein. Wer einmal in Paris Auto gefahren ist, der weiß, dass nur der mit den stärksten Nerven gewinnt. Denn Autofahren in Paris ist ein Wettkampf um die schnellste Route und die dafür benötigte Lücke. Dabei werden Fußgänger und Fahrradfahrer gerne übersehen. Auch ist der Pariser an sich an den Anblick von Fahrrädern noch nicht gewöhnt, da dieses jahrelang als todesmutig galt. Doch seit dem neuen Ausleihsystem werden systematisch Fahrradwege ausgebaut oder verbessert, um eine fahrradfreundlichere Umgebung zu schaffen.
Paris und seine (Irr)Wege
Ein letzter Tipp am Ende: Niemals ohne Stadtplan fahren! Zu Fuß wirkt Paris bereits wie ein Labyrinth, in dem sich der innere Kompass in kürzester Zeit auflöst. Während des Fahrradfahrens kann die Tour jedoch zu einer wahren Odyssee werden. Also besser vorher die Strecke auf dem Stadtplan anschauen, dabei besonders auf Einbahnstraßen achten und dann die passende Route wählen. Auf der Internetseite von „Vélib“ kann sogar ein kleiner Stadtplan ausgedruckt werden, auf der fast alle Fahrradstationen markiert sind. Sollte am Ende der Fahrradtour eine Station vollständig besetzt sein, nicht in Panik ausbrechen! An der Stationssäule wird angezeigt, wo die nächsten freien Plätze zu finden sind. Dann können auch weitere 15 Minuten freie Fahrt gut geschrieben werden, um noch rechtzeitig vor der nächsten kostenpflichtigen Stunde sein Fahrrad abgeben zu können.
Doch wie gewöhnungsbedürftig der erste Gebrauch der Vélibräder auch sein mag, verpassen sollte man dieses Erlebnis bei dem nächsten Parisbesuch nicht. Gerade für Städtereisende ist es ein ganz neues Gefühl der Unabhängigkeit: Keine strapazierenden Fußmärsche vom Eiffelturm zu Notre-Dame, kein zermürbendes Umsteigen im unterirdischen Metrodschungel, und kein schlechtes Gewissen mehr, wenn man sich hemmungslos der französischen Küche hingegeben hat. Die Fahrradfahrt schafft den entsprechenden Ausgleich.