Gefährliche Schräglage: Wenn gut gemeint das Gegenteil bewirkt
In fast jedem Fitnessstudio steht er – stolz, stumm und scheinbar vertrauenswürdig: der sogenannte Rückenstrecker, auch als Hyperextension-Bank bekannt. Man legt sich im 45-Grad-Winkel darauf, fixiert die Füße, verschränkt die Arme oder drückt sich heroisch eine Fünf-Kilo-Scheibe an die Brust und beginnt, den Oberkörper ruckartig nach oben zu befördern.
Klingt nach einer großartigen Rückenübung?Leider nein - Es treibt jedem Physiotherapeuten, wie mir, die Tränen in die Augen, weil er mit dem gefoltertem (!) unterem Rücken leidet! Denn während das Gerät optisch das Rückgrat symbolisiert, ist es funktionell ein Angriff auf eben dieses. Aktuelle Studien aus den Jahren 2023 und 2024 zeigen zunehmend, dass diese Trainingsform biomechanisch nicht nur ineffektiv, sondern potenziell schädlich ist – insbesondere für jene, die schon mit Haltungsschäden oder verkürzter Muskulatur im unteren Rückenbereich kämpfen.
Missverstandene Anatomie
Viele trainieren an diesem Gerät in der Annahme, sie würden damit eine schwache Rückenmuskulatur gezielt stärken. Tatsächlich ist die Realität komplexer – und vor allem: umgekehrt. Die Muskulatur des unteren Rückens, insbesondere der Musculus erector spinae, ist bei vielen Menschen nicht unterentwickelt, sondern chronisch verspannt und verkürzt. Genau das belegen aktuelle Untersuchungen der Deutschen Sporthochschule Köln, die 2024 eine große Kohortenstudie veröffentlicht hat.
Der untere Rücken braucht keine Panikmache
Anstatt zu kräftigen, bräuchte dieser Bereich, die Muskulatur der LWS, der Lendenwirbelsäule, viel eher Mobilisation und Dehnung. Wer ihn zusätzlich durch isoliertes Training an der Hyperextension-Maschine unter Spannung setzt, fördert im schlimmsten Fall Fehlhaltungen, muskuläre Dysbalancen und sogar Bandscheibenprobleme. Die Struktur, die hier gestärkt werden soll, ist also nicht schwach – sie ist schlichtweg überbeansprucht. Aber macht ruhig mit dem Blödsinn weiter, der Bandscheibenvorfall, der daraus resultieren kann, verschafft Euch dann ein paar Monate Krankenschein!
Wenn der Rücken sich beugt, dann meist oben – nicht unten
Der oft zitierte „Rundrücken“ ist kein Problem, das im unteren Rücken entsteht. Vielmehr beginnt die Fehlhaltung fast immer in der Brustwirbelsäule – also im mittleren Teil des Rückens – und setzt sich bis zur Halswirbelsäule fort. Genau dort fehlt es an Mobilität und muskulärer Aufrichtung, wie neuere MRT-basierte Haltungsanalysen aus dem Jahr 2023 zeigen.
Wer also glaubt, mit einem Rückenstrecker den Rundrücken zu bekämpfen, trainiert am falschen Ort. Effektiver wäre es, die Aufrichtung aus der Brustwirbelsäule zu fördern – etwa durch Übungen mit einem Pezziball, bei denen die Bewegung aus dem oberen Rücken eingeleitet wird. Diese Form des funktionellen Trainings fördert nicht nur die Haltung, sondern schützt auch die sensiblen Strukturen im Lendenbereich.
Problem mit Zusatzgewicht und Ego: Eine Übung für Blender!
Eine weitere Fehlentwicklung ist der Trend, sich bei der Hyperextension zusätzliches Gewicht vor die Brust zu drücken. Eine Fünf-Kilo-Scheibe mag harmlos klingen, doch sie erhöht den Druck auf die Lendenwirbelsäule massiv. Dabei gerät oft in Vergessenheit, dass es sich hier um einen Bereich handelt, der ohnehin unter hoher statischer Belastung steht – sei es im Büro, beim Autofahren oder auf der Couch.
Das Gewicht verlagert den Hebelpunkt nach vorne, was zu übermäßiger Kompression der Bandscheiben führen kann. Wer also glaubt, seinem Rücken mit mehr Widerstand etwas Gutes zu tun, katapultiert ihn womöglich direkt in die nächste Schmerzphase. Hinzu kommt ein psychologischer Aspekt: Das Training am Rückenstrecker sieht spektakulär aus – und suggeriert, man würde hart an sich arbeiten. In Wahrheit aber arbeitet man oft gegen seinen Körper, nicht mit ihm.
Funktionelles Rückentraining sieht anders aus
Die Zukunft des Rückentrainings liegt nicht in starren Geräten, sondern in dynamischen, ganzheitlichen Bewegungsabläufen. Übungen, die mehrere Muskelgruppen gleichzeitig ansprechen, fördern die Koordination und das Zusammenspiel zwischen Rumpf, Hüfte und Schultern. Dazu zählen etwa stabilisierende Übungen im Vierfüßlerstand, kontrollierte Extensions über den Pezziball oder gezielte Mobilisationsbewegungen mit Fokus auf die Brustwirbelsäule.
Diese Trainingsformen berücksichtigen nicht nur die funktionelle Anatomie, sondern auch die individuellen Bewegungseinschränkungen. Und vor allem: Sie verhindern, dass der untere Rücken durch falsche Reize weiter verkrampft. Die Forschung geht hier klar in Richtung Prävention durch Bewegungskompetenz – nicht durch isolierte Kraftreize an fragwürdigen Geräten.
Rückenstrecker raus – Haltung rein
Wer seinem Rücken wirklich etwas Gutes tun möchte, sollte den Rückenstrecker künftig lieber meiden. Die moderne Trainingswissenschaft belegt immer deutlicher, dass diese Übung in den meisten Fällen keine funktionelle Verbesserung bringt – sondern Fehlbelastungen verstärkt. Stattdessen sind Beweglichkeit, Haltungsschulung und ein bewusster Umgang mit Alltagsbelastungen die Schlüssel zu einem gesunden Rücken. Also runter von der Schräge, rauf auf den Boden – und ran an die Bewegung, die dem Rücken wirklich nutzt: aufgerichtet, mobilisiert und mit Sinn für Anatomie statt Showeffekt.