Richtiges Heben

Richtiges Heben

Lasten mit geradem Rücken, also mit angespannter Rückenmuskulatur heben


Richtiges Heben und Tragen im Alltag
Ein Beitrag aus der Sicht des Sicherheitsingenieurs


Zur Person: Der Autor ist Sicherheitsingenieur und Umweltschutzbeauftragter der DVV-GmbH, Duisburg.


Im Diskussionsforum von Fitness.com wurde in den letzten Tagen von einer Besucherin darauf hingewiesen, dass Lasten mit geradem Rücken, also mit angespannter Rückenmuskulatur gehoben und getragen werden sollen. Im folgenden Beitrag will ich erklären, warum dies so ist und einige Tipps geben, wie man rückenfreundliches Verhalten in den eigenen (Arbeits-)Alltag umsetzen kann.



Aufbau der Wirbelsäule


Die Wirbelsäule ist grob in drei Segmente eingeteilt.


  • Halswirbelsäule (HWS)
  • Brustwirbelsäule (BWS)
  • Lendenwirbelsäule (LWS)


Dazu kommen noch die unteren Segmente der Wirbelsäule.
Die Kreuz- und die Steißwirbel sind jeweils miteinander verwachsen, so dass sie nur mehr als eine Einheit, nämlich Kreuzbein und Steißbein erkennbar sind. Wie auf der Abbildung deutlich sichtbar ist, werden die Wirbelkörper von cranial nach caudal , d.h. von oben nach unten, immer dicker. Das hängt damit zusammen, dass die Lendenwirbel mehr Last zu tragen haben, als die kleineren Brust- und Halswirbel. Dies wird nicht nur beim Heben und Tragen von schweren Lasten, sondern auch beim Sitzen sehr deutlich.


Wichtig: Sitzen stellt demnach für die aktiven Strukturen des Rückens eine Entlastung, für die passiven Strukturen allerdings eine enorme Belastung dar.


Zwischen zwei Wirbelkörpern befindet sich eine mehr oder weniger dicke Knorpelschicht . Dieser Knorpel ist allerdings nicht mit dem hyalinen Gelenkknorpel, der die Gelenkflächen auskleidet, vergleichbar, sondern ähnelt mit Blick auf Funktion und Beschaffenheit eher dem Meniscus im Knie. Das Besondere an dieser Knorpelscheibe ist der Gallertkern in der Mitte, der von festem Faserknorpel umgeben ist. Dadurch wirkt Zwischenwirbel- oder Bandscheibe als eine Art Stoßdämpfer zwischen den Wirbelkörpern. Der natürliche Wechsel von Be- und Entlastung, von Druck und Zug, ist für die Ernährung der Bandscheiben von zentraler Bedeutung. Dadurch können sie sich abwechselnd mit Flüssigkeit vollsaugen und werden dann wieder ausgequetscht.




Belastung und Fehlbelastung


Problematisch wird es erst dann, wenn ein Druck über eine sehr lange Zeit auf die Bandscheiben wirkt oder aber sehr ruckartig eine sehr hohe mechanische Belastung. Ersteren Fall hat man häufig beim stundenlangen Sitzen. Zu Belastungsspitzen kommt es dann, wenn versucht wird, schwere Gegenstände mit rundem Rücken in einer ruckartigen Bewegung zu heben meist in Kombination mit einer ungünstigen Drehung in der Wirbelsäule.


Beispiel: Einarmiges Umladen einer vollen Getränkekiste aus dem Auto in den Einkaufswagen.


Eine einseitige Belastung der Wirbelsäule staucht auch die Bandscheiben auf einer Seite stärker. Stellen Sich sich vor, Sie beißen in einen Hamburger. Sie werden feststellen, dass die Frikadelle versucht, nach hinten auszuweichen. Dasselbe passiert mit der Bandscheibe, wenn die Wirbelkörper oben und unten einen einseitigen Druck auf sie ausüben.


Was kann passieren?


Der Faserring kann sich nach dorsal (rückenwärts) vorwölben und auf die Nervenwurzeln drücken. Dies führt zu sogenannten radikulären Symptomen, also Schmerzen, die durch Reizung der Nervenwurzeln entstehen. Diesen Fall nennt man Bandscheibenvorbeuge oder Protrusio . Glück im Unglück: Eine Protrusio ist reversibel und kann auch als schmerzhaftes Warnsignal verstanden werden; ein guter Grund, in Zukunft seinem Rücken etwas mehr Beachtung zu schenken.


Ebenso kann es passieren, dass es zu kleinen Subluxationen (Blockaden) in den sehr empfindlichen Facetten (Wirbelgelenken) kommt. Diese führen meist zur sehr heftigen sowohl lokalen als auch ausstrahlenden Schmerzen sowie schmerzhaften Muskelverspannungen , die wiederum die Wirbelgelenke blockieren. Dies wird im Allgemeinen als Hexenschuss bezeichnet.


In schlimmeren Fällen kann es passieren, dass es nicht bei einer Vorwölbung der Bandscheibe bleibt. Wenn der Faserring der Belastung nicht standhält, kann er einreißen und der Gallertkern austreten = Bandscheibenvorfall oder Prolaps . Im Gegensatz zur Protrusio ist der Prolaps ein nicht umkehrbarer Vorfall. Er führt sowohl akut als auch langfristig zu Schmerzen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität und muss in bestimmten Fällen sogar operativ behandelt werden.


Problematisch ist die Tatsache, dass die Bandscheibe selbst nicht schmerz- oder druckempfindlich ist. Sie kann uns deshalb nicht zurückmelden, wann wir sie überstrapaziert haben. Einseitige oder falsche Belastung schadet dem Rücken immer, auch wenn es nicht sofort zu Beschwerden kommt.


Daher möchte ich an dieser Stelle ein paar Tips für den Alltag zur Schonung Ihres Rückens aus Sicht des Praktikers geben.


  1. Schon mit dem Aufstehen aus dem Bett kann man sich etwas Gutes tun. Bitte nicht wie von der Viper gestochen mit einem Satz in den Tag! Den Oberkörper abstützen und aufrichten, dabei die Füße auf den Boden stellen. Die Hände stützen sich auf den Knien ab. Der Oberkörper wird nach vorne gebeugt und wir richten uns auf, dabei stützen wir uns auf den Knien ab. Jeder, der wie ich eine sitzende Tätigkeit hat, wird auch so aus seinem Bürostuhl aufstehen.

  2. Eine sitzende Tätigkeit, die Fahrt mit dem Auto zu Arbeit, das sind die täglichen Belastungen für den Rücken. Wer es ermöglichen kann, der sollte sich im Büro ein Stehpult aufstellen und dadurch die reine Sitzzeit reduzieren.

  3. Zum richtigen Heben von Lasten in die Hocke gehen, aber nicht schwungvoll. Die Füße stehen für einen sicheren Stand weit genug auseinander. Die Beine sind soweit gespreizt, dass die Last möglichst nahe am Körper ist. Nun wird die Last sicher und fest angefasst. Aus den Oberschenkeln heraus jetzt mit der Last aufrichten, aber nicht im "Hauruckverfahren". Der Körper bleibt beim Aufrichten gerade. Das Absetzen verläuft in entsprechend umgekehrter Reihenfolge, aber bitte ohne Schwung. Für den Fall, dass die Beweglichkeit nicht ausreicht, können Sie sich auch mit gestrecktem Rücken etwas nach vorn über die Last beugen.

  4. Niemals während dieses Vorganges den Oberkörper drehen. Muss die Last versetzt werden, bewegen Sie bitte Ihre Füße mit der angehobenen Last. Merke: Die Fußspitzen zeigen immer dorthin, wo auch die Arme hinzeigen!

  5. Beim Ausladen aus dem Kofferraum des Wagens erst die Last zu sich heranziehen, dann die Knie an der Stoßstange abstützen, den Oberkörper aufrecht halten und die Last mit der Kraft der Arme aufnehmen. Danach die Getränkekiste nicht an einem Arm tragen, sondern mit beiden Armen vor dem Bauch. (Wie die Herzallerliebste über die Schwelle der Hochzeitsuite).

  6. Auch gut trainierte Herren tragen zwei Kästen bitte nicht an je einem Arm. Zweimal gehen hat der Rücken lieber, auch wenn die Armmuskeln das locker schaffen würden. Übrigens ist es auch für den Betroffenen nicht schön, wenn der muskulöse Körper unter Rückenschmerzen jede Bewegung zur Qual werden lässt.

  7. Lasten verteilen: Wenn es denn doch zwei schwere Gegenstände auf einmal sein müssen, achten Sie auf eine gleiche Verteilung. Wenn am linken und am rechten Arm jeweils die gleiche Last hängt, dann wird auch die Bandscheibe gleichmäßig belastet.

  8. Tragen Sie sperrige Gegenstände lieber nicht allein und benutzen Sie möglichst eine Tragehilfe wie Tragegurte, Handmagnete oder Saugtragegriffe.

  9. Transporte über längere Strecken nur mit Transporthilfen wie Sackkarre, Schubkarre oder ähnlichem. Was eine längere Strecke für Sie ist, das entscheiden Sie für sich selbst.

  10. Männer zwischen 19 und 45 Jahren sollten gelegentlich nicht mehr als 55 kg und häufiger mehr als 30 kg heben und tragen. Für Frauen gelten für gelegentliches Tragen und Heben 15 kg und für häufiges tragen und heben 10 kg. Gelegentlich ist eine Belastung von höchstens 2mal je Stunde und bis zu 4 Schritten. Häufiger ist eine Belastung von mehr als 2 mal je Stunde oder Transportwege von mehr als 4 Schritten.


Ich wünsche Ihnen kein Kreuz mit der Last....und wenn Sie meine Tipps beherzigen, dann gibt’s auch keine Last mit dem Kreuz!


Ihr Gerd Hötzel
Autor: Gerd Hötzel

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