Rheuma rechtzeitig behandeln

Rheuma rechtzeitig behandeln

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Rheuma ist eine Volkskrankheit, die das Leben vieler Menschen massiv beeinträchtigt. Hinter diesem Sammelbegriff verbergen sich über hundert Krankheitsbilder, die den Bewegungs- und Stützapparat betreffen können. Eine besonders schwerwiegende Form ist die Rheumatoide Arthritis, eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem die Gelenke angreift und zu schmerzhaften Entzündungen führt. Laut aktuellen Erhebungen des Berufsverbands Deutscher Rheumatologen (BDRh) besteht in Deutschland jedoch ein gravierendes Problem: Nur ein kleiner Teil der Patientinnen und Patienten erhält zeitnah nach Auftreten der ersten Symptome eine spezialisierte Behandlung. Lediglich 23 Prozent schaffen es innerhalb eines kritischen Zeitfensters von drei Monaten zum Facharzt, während sich die meisten Betroffenen wesentlich länger gedulden müssen. Dieses Versäumnis kann fatale Folgen haben, denn je früher eine gezielte Therapie einsetzt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung eingedämmt werden kann.

Das „Window of Opportunity“

Ärztinnen und Ärzte sprechen bei der Rheumatoiden Arthritis vom sogenannten „window of opportunity“. Dabei handelt es sich um jene ersten drei Monate nach Ausbruch der Erkrankung, in denen die Therapie am effektivsten eingreifen kann. In diesem Zeitraum besteht die größte Chance, eine Remission zu erreichen oder zumindest das Fortschreiten der Entzündung und die damit verbundenen Gelenkschäden zu verhindern. Neuere Studien der Rheumatologie unterstreichen die Bedeutung dieses Zeitfensters: Mit jeder Woche, die ohne angemessene Behandlung verstreicht, verschlechtert sich oft die langfristige Prognose. Ein konsequentes Einschreiten direkt nach Auftreten der Beschwerden kann hingegen die Entzündungsaktivität langfristig reduzieren. Es geht also nicht nur um eine vorübergehende Linderung von Schmerzen, sondern um den Erhalt der Gelenkfunktionen und damit um Lebensqualität. Wer diese Gelegenheit verpasst, läuft Gefahr, dass sich die Krankheit zunehmend verfestigt und zu irreparablen Schädigungen führt.

Versorgungslücke in Deutschland

Die Auswertungen des BDRh in rund 200 rheumatologischen Praxen zeigen, dass es im Durchschnitt 21 Monate dauert, bis ein Patient erstmals einen Rheumatologen aufsucht. Diese lange Wartezeit spiegelt eine strukturelle Unterversorgung wider: Es gibt schlicht zu wenige Fachärztinnen und Fachärzte für Rheumatologie, um die hohe Zahl an Neuerkrankungen zeitnah zu betreuen. Nach Angaben des BDRh wäre ein Rheumatologe pro 50.000 erwachsene Einwohner sinnvoll – tatsächlich liegt das Verhältnis jedoch bei rund 1:100.000. Das führt zu Engpässen bei der Terminvergabe und überlasteten Praxen. Zwar gehören auch die Hausärztinnen und Hausärzte zu den ersten Anlaufstellen, doch gerade die weiterführende Überweisung zum Facharzt verzögert sich oft, wie die Erhebungen belegen. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass wichtige Wochen und Monate verstreichen, bevor eine spezialisierte Diagnostik und Therapie erfolgen kann.

Fehlende Lehrstühle und Zulassungssperren

Zu den Ursachen der Fachärztemisere zählt unter anderem das Fehlen ausreichender Lehrstühle für Rheumatologie an den Universitäten. An nur 12 der 36 Fakultäten in Deutschland besteht laut BDRh ein entsprechendes Angebot. Darüber hinaus behindern versorgungsfeindliche Zulassungssperren für internistische Rheumatologinnen und Rheumatologen den Ausbau des ambulanten Sektors. Anstatt den Bedarf an ausgewiesenen Spezialisten zu berücksichtigen, orientiert sich die Bedarfsplanung an der Gesamtzahl der internistischen Fachärzte. Das ist jedoch nicht repräsentativ für die Zahl tatsächlich praktizierender Rheumatologen. Diese strukturellen Defizite auf gesundheitspolitischer Ebene tragen zu einem Mangel an zeitnahen Behandlungsmöglichkeiten bei.

Kritische Rolle der Hausarztpraxis

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Zusammenarbeit zwischen Hausärztinnen und Hausärzten und den rheumatologischen Fachpraxen. Zwar sind Hausarztpraxen oft die erste Station, wenn Patientinnen und Patienten Gelenkschmerzen oder Steifigkeit bemerken, doch in 50 Prozent der Fälle stimmen die Verdachtsdiagnosen „Rheumatoide Arthritis“ nicht mit der Fachdiagnose überein. Manche Betroffene werden zu spät oder gar nicht weiter überwiesen, obwohl ein frühzeitiger Facharztbesuch entscheidend wäre. Ein stärkeres Miteinander könnte hier Abhilfe schaffen, indem Screening-Fragebögen zum Beispiel gezielter eingesetzt werden, um die Überweisungen zu beschleunigen. Der BDRh plädiert deshalb für ein kooperatives Versorgungskonzept: Hausärztinnen und Hausärzte sollen frühzeitig an Rheumatologinnen und Rheumatologen überweisen, die dann innerhalb von maximal 14 Tagen einen Termin vergeben. Gleichzeitig verpflichten sich die Fachärztinnen und Fachärzte, innerhalb kürzester Zeit die Diagnose zu stellen und eine Therapie einzuleiten.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Frühtherapie

Die Bedeutung der Frühdiagnose wird durch zahlreiche wissenschaftliche Studien untermauert. Moderne Therapiestrategien basieren auf einer Kombination aus Basistherapeutika (Disease-Modifying Antirheumatic Drugs, DMARDs) und zusätzlichen entzündungshemmenden Medikamenten wie Glukokortikoiden. Je rascher dieser Behandlungsansatz beginnt, desto besser die Aussicht auf eine Remission. Manche Patientinnen und Patienten profitieren sogar von einer lang anhaltenden Beschwerdefreiheit. Die fehlende oder verspätete Einleitung einer medikamentösen Basistherapie führt dagegen häufig zu bleibenden Gelenkschäden, Einschränkungen im Alltag und erhöhten Risiken für Begleiterkrankungen (z. B. Osteoporose durch Bewegungsmangel oder kardiovaskuläre Probleme infolge chronischer Entzündungen).

Neue Versorgungskonzepte für eine bessere Zukunft

Um den Versorgungsengpass zu überwinden, haben der BDRh und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ein Modell entwickelt, das auf strukturierte Überweisungswege und eine engere Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizin und Rheumatologie setzt. Ziel ist es, die Wartezeiten deutlich zu verkürzen und sicherzustellen, dass Patienten mit Verdacht auf Rheumatoide Arthritis schnell in den richtigen Händen landen. Dieses Konzept sieht außerdem eine langfristige Koordination vor, bei der Hausarztpraxis und Fachpraxis sich eng abstimmen. Nach der Erstdiagnose und Therapieeinleitung erfolgt die Weiterbehandlung häufig im Zusammenspiel beider Disziplinen, wobei regelmäßige Kontrolltermine sicherstellen, dass sich die Therapie jederzeit an den aktuellen Gesundheitszustand anpasst. In diesem integrativen Modell liegt ein wichtiger Schlüssel, um das „window of opportunity“ besser zu nutzen und die Zahl schwerer Verlaufsformen zu senken.

Zeit ist Gelenk

Das Thema Rheuma rechtzeitig behandeln ist weit mehr als ein organisatorisches Detail: Es entscheidet häufig über den gesamten Krankheitsverlauf. Wer frühzeitig eine fachärztliche Betreuung bekommt, hat die Aussicht auf eine deutliche Verbesserung seiner Symptome und kann möglicherweise sogar einen nahezu beschwerdefreien Zustand erreichen. Doch dazu ist ein Umdenken in der Gesundheitsversorgung erforderlich. Es braucht mehr Rheumatologinnen und Rheumatologen, eine bessere universitäre Ausbildung sowie eine effektivere Kooperation zwischen Hausarzt- und Facharztpraxen. Nur so kann gewährleistet werden, dass Menschen mit Rheumatoider Arthritis die Behandlung erhalten, die sie benötigen, bevor ihre Gelenke unwiderrufliche Schäden davontragen. Rheuma ist und bleibt eine ernstzunehmende Erkrankung – doch mit frühzeitigem Handeln, bewährten Therapien und interdisziplinärer Zusammenarbeit lassen sich große Fortschritte erzielen und die Lebensqualität der Betroffenen merklich verbessern.



Weitere Informationen über rheumatische Erkrankungen sowie Möglichkeiten zur
Behandlung und Vorbeugung finden Betroffene und Interessierte im Internet unter
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