Die meisten Hobby-Läufer trainieren zu schnell!
Da ich direkt am Rand eines unter Läufern und Radfahrern beliebten Waldstückes wohne, beobachte ich alljährlich im Frühling das gleiche Spiel: Das angenehme Wetter animiert viele Menschen dazu, sich mit neuen Jogging-Klamotten auf die alte Strecke zu begeben - und dabei die alten Vorsätze vom bewegungsreicheren Leben mit neuer Kraft zu erfüllen.
Auf Rekordjagd
Was ich sehe, sind Menschen, die wild japsend auf Rekordjagd gehen: oft die gleiche Strecke, mehrmals die Woche, immer höchstmögliches Tempo. Sie sind der Meinung, mit Intensität die fehlende sportliche Regelmäßigkeit des Winters ausgleichen zu können. Etwas leistungsorientiertere Individuen behaupten sogar kühn, nur durch auslaugendes Training Fortschritte zu machen. Schließlich muss die Bestzeit aus dem letztjährigen Volkslauf ja unterboten werden!
An sich unterstütze ich jeden Sportler, der bereit ist, alles zu geben. Aber es hat hier seine Besonderheit damit, einen über den Winter nahezu ruhenden Körper schlagartig auszubelasten. Ich kann gut verstehen, dass man mit seinen Leistungen aus dem letzten Sommer oder Herbst im Hinterkopf erschrocken ist, wie sehr die aktuelle Form unter Weihnachtsbraten und Sylvesterkarpfen gelitten hat!
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier
Stellen Sie sich mal vor, Sie liegen im Urlaub gemütlich am Strand. Unter Ihrem Sonnenschirm herrschen angenehme Temperaturen, das Meer rauscht sanft im Hintergrund und ein Kellner erfüllt jeden Ihrer kulinarischen Wünsche. Alles ist gut!
Doch plötzlich werden Sie hochgejagt!
Irgendjemand will etwas von Ihnen, Sie müssen aufspringen, fortlaufen und dem Strand den Rücken kehren. Stattdessen rennen Sie halb verdurstet durch eine irre heiße Mondlandschaft - ohne Rast und Ruh! Schrecklich? So fühlt es sich für Ihren Körper aber an, wenn er monatelang im Schlaraffenland des Parasympathikus vor sich hin vegetieren konnte und dem ohne Vorbereitung Höchstleistungen abverlangt werden.
Hört es sich nicht viel besser an, wenn man an seinem schönen Strand bleiben darf - zwar nicht mehr faul unterm Sonnenschirm liegt - aber mit einem sanften, kurzen und langsamen Wechsel aus Laufen und Gehen durch den meergetränkten Sand flaniert?
Die guten Gewohnheiten?
Gewohnheiten sind Dinge, die wir regelmäßig ohne großes Nachdenken tun. Dies hat seinen Sinn, denn so spart man wertvolle Zeit und geistige Kapazitäten für Wichtigeres. Um sich gesund und verletzungsfrei vom Couchpotatoe zur Sportskanone entwickeln zu können, sollte man seine Gewohnheiten lieber langsam, statt schlagartig abändern. Das Gewohnheitstier in uns wird diese Art des Lebenswandels viel nachhaltiger und mit weniger Gegenwehr akzeptieren können!
Langsame Anpassung, statt Überehrgeiz
Wem außer „Abnehmen“ und „Leistungsfähigkeit“ nichts weiter einfällt, wenn es ums Laufen/ Joggen geht, der wird sicher überrascht sein, dass man mit einem langsameren Lauftempo beim Training langfristig mehr Kalorien und Fett verbrennen kann.
Laufen ist nämlich nicht gleich Laufen - die jeweilige Geschwindigkeit bestimmt nämlich ein sehr wichtiges Kriterium beim Abnehmen und der Leistungsverbesserung: Die Art der Energiebereitstellung!
Je langsamer man joggt, umso höher ist der prozentuale Anteil verwendeten Fettes für die muskuläre Energiegewinnung.
Der Experte wird hier einwenden: Wenn ich aber schneller laufe, ist mein Energieverbrauch viel höher, selbst wenn er fast nur aus Kohlenhydraten kommt - und entscheidend für das Abnehmen ist ja die negative Kalorienbilanz!
Das stimmt natürlich - oberflächlich in der Theorie. Je schneller ich laufe, umso kürzer kann ich dieses Tempo durchhalten. Die Kohlenhydratspeicher des Körpers sind begrenzt, ebenso die Fähigkeit, anfallendes Laktat abzubauen. Die bei hohem Tempo eingegangene Sauerstoffschuld muss im Nachhinein beglichen werden (deswegen atmen 400-m-Läufer noch minutenlang nach dem Wettkampf so schwer - sie übersäuern extrem!) - und damit diese nicht zu hoch ausfällt, zeigt der Körper Schmerzreaktionen.
Die erste Faustregel lautet also: Laufanfänger und Wiedereinsteiger sollten ihr Lauftempo verlangsamen, wenn sie merken, dass ihre Oberschenkel übersäuern!
„Mein Herz schlägt schneller, als deins …“
Das Herz trägt zunächst die Hauptlast einer schlagartig einsetzenden Ausdauer-Leistung. Je höher die Anstrengung, umso schneller und kräftiger muss es pumpen. Wurde es aber monate- oder jahrelang nicht trainiert, muss die mangelnde Schlagkraft mit einer höheren Schlagfrequenz (= Puls) ausgeglichen werden.
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine durstige Familie und wohnen im 6. Stock eines Hauses ohne Fahrstuhl. Jeden Tag müssen Sie nach der Arbeit einen Kasten Mineralwasser in die Wohnung schleppen. Es ist zwar mühsam, aber Sie haben sich mit der Zeit an diese Aufgabe gewöhnt.
Doch schlagartig passieren einige Dinge, die den Wasserverbrauch Ihrer Familie weit nach oben treiben: plötzliches heißes Wetter, die Entschlackungskur Ihres Ehepartners, die Kinder haben intensiven Sport angefangen - kurz: pro Tag werden nun 3 Kästen Mineralwasser benötigt! Nach der Arbeit kaufen Sie also die 3 Kästen und zu Hause versuchen Sie, alle auf einmal in den 6. Stock zu wuchten. Geht natürlich nicht, sie sind viel zu schwer! Woher sollen Sie auch die Kraft haben, 3 Kästen auf einmal zu tragen?
Stattdessen laufen Sie 3 Mal mit jeweils einem Kasten das Haus hoch und runter. Sie sind völlig fertig und haben nach einer Woche keine Lust mehr auf die Rennerei. Ihre Familie wird sauer, weil sie nicht mehr genug zu trinken kriegt und der Stress ist perfekt.
Zu schnell zu hoch hinaus tut selten gut
Mit diesem Beispiel wollte ich verdeutlichen, wie es Ihrem Herzen geht, wenn Sie von einem auf den anderen Tag Hochleistungen von ihm verlangen. Wie bei dem Wasserschlepper aus dem Beispiel hat Ihr Herz (noch) nicht die Kraft, gleichzeitig weite und schnelle abzusichern. Die Tatsache, dass es bis zu einem gewissen Punkt sehr wohl funktioniert heißt nur, dass sie sich überlastet haben und sehr lange Regenerationszeiträume bzw. Erkältungen oder Verletzungen in Kauf nehmen müssen.
Faustregel 2: Trainieren Sie entweder kurz und schnell (maximal 10 - 15 min keuchend) oder lang und langsam („Laufen ohne zu schnaufen“- man trabt mehr, als dass man läuft).
Im zweiten Teil dieses Artikels (der folgt dieser Tage, Anm. der Red.) möchte ich neben der richtigen Intensität auch die Ausdauer beleuchten. Sie ist der ausschlaggebende Faktor für die Entwicklung der Kondition und maßgeblich abhängig von der eben besprochenen Geschwindigkeit.
Für´s Erste verabschiede ich mich mit sportlichen Grüßen
Patrick Raabe