Heute möchte ich einen Exkurs ins Gewichtheben und Powerlifting wagen. Nach dem Olympiasieg des deutschen Schwerathleten Matthias Steiner 2008 sind diese beiden Randsportarten in unserer Heimat salonfähig geworden. Viele Menschen verbinden mit den emotionalen Bildern aus Peking nicht mehr nur dicke Kolosse, sondern sensible Hochleistungsathleten, die in ihre Disziplin genausoviel Beständigkeit und Herzblut legen mussten, wie all die berühmten Fußballer, Formel-1-Fahrer und Boxer auch.
Technisch anspruchsvoll korrekte Bewegungen
Das Training eines Gewichthebers ist dem äußeren Anschein nach kraftorientiert. Beschäftigt man sich aber etwas intensiver mit der Materie, so wird einem bewusst, wie technisch anspruchsvoll das korrekte Bewegen einer möglichst schweren Hantel über den eigenen Kopf wird. Professionelle Gewichtheber trainieren 2x täglich, 6x pro Woche.
Dabei spielt vor allem eine Rolle, dass das Zentralnervensystem sogenannte Kraftbahnen anlegt - es lernt quasi eine Bewegungsausführung, die der Sportler oft wiederholt. Da man sich auch im Alltag viel bewegt, muss der Athlet so oft wie möglich trainieren. Da er dies mit riesenhaften Gewichten tut, ist er gezwungen, seine Workouts kurz und intensiv zu halten.
Die Technik ist das A und O
Eine Hantel vom Boden über den Kopf zu wuchten, stellt den größtmöglichen Weg dar, den ein Mensch eine Last bewegen kann. Das Gewichtheben kennt 2 Arten, dies zu bewerkstelligen: 1. das Reißen (Bewegung findet ohne Pause statt) und 2. das Stoßen (Bewegung pausiert auf den Schultern). Auf diese Weise sind die Athleten nicht nur darauf angewiesen, den ökonomisch effektivsten Weg der Hantel zu wählen, sondern eben auch den sichersten - kein Wunder bei bis zu 260 kg schwebend über dem eigenen Schädel!
Halten wir also fest, dass man möglichst oft einen möglichst perfekten Bewegungsablauf trainieren muss, um das ZNS daran zu gewöhnen, seine maximal entfaltbare Kraft auch tatsächlich zu realisieren.
Die Formel der Kraft
"Kraft = Masse x Beschleunigung" - dieses physikalische Gesetz hat höchste Priorität beim Thema Gewichtheben! Je höher entweder die bewegte Masse oder die verwendete Geschwindigkeit, umso höhere Kraft wirkt. Es ist demnach nicht gesagt, dass ein Mann, der langsam 100 kg vom Boden hochzieht mehr Kraft anwenden muss, als sein Trainingskollege, der 90 kg explosiv zieht.
So ergeben sich 2 unterschiedliche Trainingsarten auf dem Weg zu höherer Kraft: Maximalkrafttraining und Speed-Training.
Maximalkrafttraining ist leicht zu erläutern und wird von den meisten Fitnessstudio-Besuchern ohnehin angewendet: man benutzt ein recht schweres Gewicht (über 80% seines Leistungsmaximums) und bewegt dieses für 1-6 Wiederholungen. Davon macht man 3 - 10 Sätze, wobei man der Erschöpfung nahekommt, bzw. sie überschreitet.
Speed-Training hingegen erfordert die Herabsetzung des Trainingsgewichtes auf etwa die Hälfte des individuellen Leistungsmaximums. Mit dieser Last wird dann explosiv gearbeitet.
Speed-Training im Detail
Speed-Training meint eigentlich nichts anderes als die Weiterentwicklung der Schnellkraft. Ziel ist es, durch sofortigen Einsatz aller verfügbaren Muskelfasern eine möglichst hohe Anfangskraft zu erzeugen, die von der Geschwindigkeit her bis zum Ende der Bewegung durchgehalten werden soll. Hier ist also eine enorme intramuskuläre Koordination notwendig = das ZNS muss auf den Punkt alle beteiligten Muskelfasern im Zusammenspiel managen und auch noch möglichst schnell kontrahieren.
Diese Anforderungen führen zu sehr schnell eintretender Erschöpfung und macht anfällig für Übertraining (nicht der Muskulatur, sondern des ZNS!). Der Umfang des Speed-Trainings muss also sehr klein sein, damit er nicht auf Dauer zu Leistungsabfall führt.
Da beim Schnellkraft-Training allein die blitzartige Kontraktion des Zielmuskels geschult werden soll, muss sich das Arbeitsgewicht im Ruhezustand befinden, während die Muskulatur gedehnt ist. So macht es sich erforderlich, dass bei allen Übungen, die im kontrahierten Zustand des Muskels begonnen werden (z.B. Bankdrücken oder Schulterdrücken) erst das Gewicht abgesenkt und dann kurz pausiert wird, damit der Dehnungsreflex verpufft. Dieser sorgt für die Aufspeicherung der Energie, die durch die Schwerkraft entsteht und der entgegengearbeitet werden muss. Im Grunde macht man sich die Übung zwar schwerer, aber effektiver.
Beispiel Kniebeuge: Aufnehmen des Gewichtes auf den Rücken - Einnehmen der Standposition - Absenken des Körpers bis in die unterste Position - Verharren in der untersten Position für mindestens 1 Sekunde - explosives Aufrichten in die Endposition.
Lohnende Übungen für das Speed-Training
Wie angesprochen sollte man sehr vorsichtig mit Speed-Training umgehen, da es sehr erschöpfend ist. Daraus resultiert, dass man nur wenige, lohnende Übungen auswählen sollte. Zu empfehlen sind insbesondere: Kniebeugen, Kreuzheben, Bankdrücken, Schulterdrücken, Dips, Langhantelrudern und Kurzhantelrudern.
Einfügen in den individuellen Trainingsplan
Man muss nicht extra einen Speed-Tag in sein Training einbauen, wie viele (vor allem US-amerikanische) Gewichtheber- und Powerlifting-Schulen es vorschreiben. Ich tendiere eher dazu, nach dem individuellen Krafttraining jeweils eine Speed-Übung pro Einheit anzuhängen, die man mit 15 Wiederholungen abarbeitet. Zwischen den einzelnen Reps macht man kleine Erholungspausen, um die ZNS-Belastung zusätzlich zu drosseln.
Ich selbst betreibe diese Art des Trainings seit Anfang des Jahres und konnte mich vor allem technisch, aber auch in der geistigen Verbindung zum Muskel verbessern. Dies führte wiederum zu eindeutiger Leistungssteigerung, welche sich auch sehr im Alltag bemerkbar macht!
Bis dahin und sportliche Grüße
Patrick Raabe