Mit der richtigen Ski-Gymnastik kein Problem
Seit dem Frühjahr steht mein Schnäppchen aus dem Winterschlussverkauf im Keller und wartet auf seinen Einsatz - nagelneue Race-Carver. Doch je näher die Saison rückt, desto größer werden meine Zweifel: Werde ich mein neues Sportgerät auch beherrschen? Zwar jogge ich zweimal in der Woche und gehe im Sommer zum Fitness-Training, aber reicht das aus? "Mindestens acht Wochen vor Saisonbeginn sollten Sie mit einer gezielten Skigymnastik beginnen", lese ich in einem Gesundheitsmagazin und dass die extrem drehfreudigen Carving-Ski im Verdacht stehen, bei hohen Geschwindigkeiten schneller zu verkanten und dadurch Knieverletzungen auslösen sollen. Noch seien sich Ärzte und Ski-Experten nicht einig, ob durch Carving-Ski Knieverletzungen zugenommen haben oder nicht.
Wie dem auch sei. Sicher ist sicher, denke ich mir und melde mich für einen Skigymnastik-Kurs der Sektion München des Deutschen Alpenvereins an. Mit gemischten Gefühlen mache ich mich auf zu meiner ersten Stunde - mit leichter Sorge eine schlechte Figur abzugeben unter all den Tourengehern und Alpinisten. Angekommen in der Trainingsstätte, eine Turnhalle eines Münchner Gymnasiums, werden alte Erinnerungen wieder wach: Der muffige Geruch aus Schweiß und abgestandener Heizungsluft ist immer noch derselbe wie vor 25 Jahren zu meiner Schulzeit. Auch die Turnhalle hat noch denselben maroden Charme, der einem unwillkürlich den Gedanken aufdrängt, dass sich doch wenigstens der Elternbeirat mit einer Spende dieser Halle annehmen müsste, wenn schon die Schule dazu nicht in der Lage war.
Warm machen im Laufschritt
"Lady Madonna" röhrt aus dem tragbaren CD-Player. Ich reihe mich ein in die Runde der im Takt der Musik joggenden Kurs-Teilnehmer. Nach und nach machen wir uns im Laufen warm: Arme kreisen, Sprünge aus der Hocke, Rückwärtsgehen, Hopserlauf und Schlangenlinien. Am Ende der Laufeinheit folgen Spurts. Erstaunlich, ich kann gut halten. Mein Kreislauf kommt in Schwung.
Nach Auslaufen und einer kurzen Verschnauf- und Trinkpause geht es im Stehen weiter. "In einer Ski-Gymnastik wird Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit trainiert. Das betrifft den ganzen Körper. Wobei natürlich bestimmte Körperpartien, wie die Beine besonders trainiert werden", erklärt Herbert Hoffmann, unser Trainer. Aha - wir fangen bei Kopf und Schultern an und arbeiten uns allmählich über Hüfte und Becken zu den Beinen vor. Nach wackeligen Balanceversuchen auf einem Bein kommt endlich eine der Übungen, auf die ich gewartet hatte: Die fast schon legendäre Abfahrtssimulation, zu der man hüftbreit in die Hocke geht, den Oberkörper flach über die Oberschenkel beugt und die Ellbogen vor die Knie bringt. Wie vor Jahren bei Manfred Vorderwülbeckes Fernsehgymnastik fahren wir einen "Trocken-Abfahrtslauf" mit Kurven und Sprüngen - die Oberschenkel brennen, aber ich beiße auf die Zähne und halte durch bis ins imaginäre Ziel.
Ein heißer Tipp: die eigene Matte mitbringen!
Bevor es auf den Boden geht, heißt es Matten holen. Ich ergattere eine, auf der ich dunkelrote Flecken ausmachte. Hatte hier etwa jemand Nasenbluten gehabt? Augenblicklich verfluche ich mich, dass ich vergessen habe eine eigene Isomatte mitzunehmen. Wenigstens an ein Handtuch hätte ich doch denken können. Weiter geht es auf dem Rücken liegend. Leider muss ich feststellen, dass auch die von mir so ungeliebten Bauch- und Rückenmuskelübungen zu einer Ski-Gymnastik gehören. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zwinge ich mich durchzuhalten, beide Beine auf und ab zu bewegen, ohne sie am Boden abzulegen.
Wären da nicht die anderen, von denen einige anscheinend problemlos die Übung meistern und aussehen, als könnten sie noch Stunden weiterturnen, würde ich wohl aufgeben. "Und atmen nicht vergessen! Keine Pressatmung!" Ertappt - sofort konzentriere ich mich darauf, beim Entspannen ein- und bei Muskel-Anspannung auszuatmen. Die Zeit vergeht unendlich langsam. Das ändert auch nicht der Blick auf die Turnhallen-Uhr: 20 Minuten sind es noch - genug für neue Torturen. "Wir haben noch Zeit für ein paar Liegestützen", hörte ich unseren Trainer sagen. "Wer will kann ja auch die Light-Variante auf Knien machen."
Als "Nicht-Weichei" entschied ich mich natürlich für die "richtigen" Liegestützen. Doch nach fünf Stück gebe ich auf und gehe freiwillig in den Kniestand. Ach ja, und wer jetzt wie ich denkt, damit wäre es geschafft, dem sei gesagt: Nein! Der Liegestütz bietet noch eine zweite Variante: mit dem Rücken zum Boden und dem Gesicht zur Decke! Noch 10 Minuten, zeigt die Hallenuhr die Musik wechselt und wird ruhiger. Gott sei Dank - ein Zeichen, dass sich das Abschluss-Stretching anbahnt. Der ganze Körper muss gedehnt werden. Eine angenehme Entspannung tritt ein, die beim Gedanken an das zur selben Zeit zu Hause herrschende Bettgeh-Chaos gleich noch größer wurde. Heute muss mein Mann mit unseren nicht schlafen wollenden Kinder kämpfen.
Wohlgefühl ohne Blamage
Zufrieden fahre ich nach Hause: Meine Bedenken, mich vor den Alpinsportlern zu blamieren, waren grundlos. Ehrfurcht hätte ich vor etwas anderem haben sollen: dem Treppensteigen am folgenden Tage. Schmerzhafter Muskelkater erinnert mich Schritt für Schritt an meine neue Mittwochabend-Aktivität. Aber bis zur nächsten Ski-Gymnastik wird auch der Muskelkater ausgestanden sein.
Inzwischen bin ich schon dreimal bei der Ski-Gymnastik gewesen und stelle erste Trainingserfolge fest. Beim letzten Trocken-Carving schmerzten meine Oberschenkel nicht mehr, und ich habe deutlich mehr Kraft! Ich bin schon ganz heiß auf meine neuen Ski und die Saison. Ich habe das Meinige dafür getan, dass sie gut verlaufen kann. Nun sind Petrus und Frau Holle an der Reihe. Denn, was bis jetzt noch wirklich fehlt, ist der Schnee. Da ist auch die beste Ski-Gymnastik machtlos.