Die erste Radtour nach meinem Urlaub im Hochgebirge glich einem Wunder. Die rund 18 Kilometer von meinem Wohnort Nieder-Olm zum Arbeitsplatz in Nierstein waren in 40 Minuten runtergestrampelt. Vor dem zweiwöchigen Urlaub brauchte mein Cross-Country-Rad und ich noch mindestens drei Minuten mehr. Fühlte ich mich vorher noch wie ein Sprinter ohne Stehvermögen, so schienen meine Beine nun in der Trittfrequenz von Lance Armstrong die Pedale in Bewegung zu halten. Alleine: Bei mir half kein spanischer Dopingarzt, keine Bluttransfusion und auch kein Wachstumshormon nach. Was war geschehen?
Wandern im Hochgebirge: Der wahre Gamechanger
Da mein Rad im Trainingslager nicht dabei war und stattdessen faul im Keller stand, muss wohl ich samt meinem Körper für die Leistungsexplosion verantwortlich gewesen sein. Zwei Wochen Wandern im Hochgebirge lagen zwischen meinem letzten "Einzelzeitfahren" ins Büro und dem jetzigen Ritt in Zeitfahrermanier. Jeden Tag dieser zwei Wochen absolvierte ich eine Tour, die jeweils von der Unterkunft auf 1300 Metern hinauf auf 2000 bis 3500 Meter führte.
Beispielsweise zog ich an einem Tag vom Örtchen Ferpècle im hintersten Winkel des Val d'Herens im schweizerischen Wallis los auf die Cabane de la Dent Blanche. Von gut 1800 Metern aus wollten dort 1700 Höhenmeter bezwungen sein. Nach fünf anstrengenden, aber durchaus zu bewältigenden, wunderschönen Wanderstunden wartete die große Herausforderung: In gut 3200 Metern Höhe verstellten plötzlich große Felsblöcke den Weg nach oben. Nun wechselte die weitere Angriffstaktik auf den Berg vom gemütlichen Wanderschritt zum Klettern.
Die Herausforderungen des Hochgebirges
Als wäre das noch nicht genug der Prüfung, zogen sich die Wolken zu und schickten kurzzeitig Hagel, Blitz und Donner auf die Wanderfreunde hinab. Die ungewohnte Höhe machte zudem doch etwas zu schaffen. Glücklicherweise hatten wir genug Wasser eingepackt, das der körperlichen Unversehrtheit dort oben einen großen Dienst erwies. Eine gewisse Fitness war schließlich auch vonnöten, um nach der Kletterpartie noch eine halbe Stunde durch ein Schneefeld zu stapfen, bevor endlich das ersehnte Ziel erreicht wurde. Die Belohnung war dafür grandios. Als sich die Wolken verzogen, wurde der Blick frei auf ein gutes Dutzend an Viertausendern in der nächsten Umgebung. Später in der Nacht erschienen die Riesen bei Vollmond noch majestätischer.
Höhentraining: Wissenschaftlich bestätigt
Wie blasphemisch nimmt sich da die Lobrede auf den Zuwachs an roten Blutkörperchen aus. Mediziner bestätigen, dass alleine der Aufenthalt in diesen Höhen den Anteil der konditionsfördernden roten Blutkörperchen erhöht, die den Transport des Sauerstoffs durch den Blutkreislauf ermöglichen. Da die Luft mit der Höhe immer dünner wird, also aufgrund des geringeren Luftdrucks mit weniger Sauerstoff angereichert ist, verspürt der Körper das Bedürfnis, mehr Erythropoetin (das natürliche EPO) zu produzieren. Dieses wiederum sorgt für die vermehrte Herstellung roter Blutkörperchen samt des sauerstoffbindenden Hämoglobins. Dadurch kann ausreichend Sauerstoff in Muskeln und Gehirn gepumpt werden.
Langfristige Effekte des Höhentrainings
Kommt zum Aufenthalt in der Höhe auch noch eine gleichmäßige körperliche Belastung wie eben das Wandern hinzu, so läuft die im Körper und eben nicht bei einem spanischen Dopingarzt angesiedelte Produktionsstätte für Hämoglobin auf Hochtouren. Auch jetzt, drei Wochen nach Rückkehr aus den Bergen, profitiere ich noch vom "Höhentraining". Die ersten Waldläufe strengten zwar anders als das Radfahren mehr an als zuvor. Das dürfte aber an der mittlerweile ungewohnten Belastung der Gelenke gelegen haben.
Nach zwei Ausflügen in den Wald scheint aber auch hier das Rote-Blutkörperchen-Wunder seine Wirkung zu zeigen. Definitiv funktioniert die Regeneration nach Belastungen jeder Art deutlich besser als vorher. Muskelkater am Tag nach einem Fußballspiel ist derzeit undenkbar. Fraglich bleibt nun, wie lange der "Höhenvorteil" anhält. Bei gleichbleibender, sportlicher Belastung bleiben die roten Blutkörperchen nach Erkenntnissen der Wissenschaft in erhöhter Zahl einige Zeit lang dienstbereit. Längere Trainingspausen quittieren sie allerdings mit dem schleichenden Abschied aus dem Blutkreislauf.
Fazit: Ein natürlicher Boost für die Fitness
Wer also nicht jede Woche zum Wandern ins Wallis kommt und sich nicht wirklich dopen möchte, der sollte täglich trainieren. Der Aufenthalt im Hochgebirge hat gezeigt, dass natürliche Mittel wie Bewegung und die richtige Umgebung ausreichen können, um den Körper zu Höchstleistungen zu bringen. Es braucht kein illegales EPO, sondern nur die Motivation, sich herauszufordern – am besten mit einer Radtour in die Berge oder einem intensiven Wanderurlaub.