Die Sarkopenie

Die Sarkopenie

Verena Geweniger mit dem Pilates Softball von www.sissel.de
Staatsexamen an der Uni Zürich 1991 Arzt an der Klinik für kardiale Rehabilitation in Gais. 1999 Vizeweltmeister an der Double Ultratriathlon-WM in Lituanien. 2000 Vizeeuropameister an der Triple-Iron-Triathlon-EM in Ecuador. Berater für ECR Pharma GmbH.

Der Begriff Sarkopenie steht für den nicht beabsichtigten, altersbedingten Verlust von Skelettmuskulatur und der damit verbundenen Abnahme an Körperkraft [Evans, 2004; Rosenberg, 1997]. Sarkopenie bezeichnet die vor allem altersbedingte Muskelatrophie ab etwa dem 65. Lebensjahr [Iannuzzi-Sucich et al., 2002]. Definitionsgemäss liegt eine Sarkopenie vor, wenn die fettfreie Körpermasse 2 oder mehr Standardabweichungen unter dem altersspezifischen Mittelwert liegt [Castillo et al., 2003]. Weiter wird die Sarkopenie in eine Klasse I und Klasse II, je nach Skelettmuskelindex (SMI), wobei der SMI der Skelettmuskelmasse/Körpermasse X 100 entspricht, eingeteilt [Zoico et al., 2004]. Bis heute liegt keine klar definierbare Ursache der Sarkopenie vor. Neben muskulären, neurologischen, endokrinen und diätetischen Faktoren werden die Veränderung der Körperzusammensetzung und ein inaktiver Lebensstil diskutiert. Zwischen 60 und 95 Jahren weisen 48% der Männer und 30% der Frauen eine Sarkopenie auf [Kyle et al., 2001], bei über 80-Jährigen liegt bereits in 60% eine Sarkopenie vor [Dorrens & Rennie, 2003].

Durch die weiter steigende Lebenserwartung wird die Sarkopenie als eines der grössten Probleme des öffentlichen Gesundheitswesens der industrialisierten Nationen bezeichnet,
welche vor allem zukünftig die Gesundheitssysteme stark belasten wird [Lynch, 2004]. So betrugen im Jahr 2000 die direkt auf die Sarkopenie bezogenen Kosten in den USA 18.5 Mia US$, was 1.5% der gesamten Gesundheitskosten ausmachte. Könnte die Sarkopenie um 10% reduziert werden, würden jährlich 1.1 Mia US$ eingespart werden [Janssen et al., 2004]. Ursachen der Sarkopenie

Sarkopenie als altersbedingter Muskelverlust steht jedem alternden Menschen bevor. Die Ausprägung des Schweregrades hängt aber deutlich vom Gesundheitszustand, der körperlichen Aktivität und der Ernährung ab [Roubenoff, 2003a]. Im Alter sind die anabolen Stimuli reduziert bzw. sie sind nicht mehr gleich wirksam. Hierzu zählen die nervale Versorgung, das Testosteron, die Östrogene, das Wachstumshormon, das Insulin, die Proteinzufuhr und die körperliche Aktivität [Evans, 2004]. Da gleichzeitig katabole Stimuli vermehrt auftreten, ändert sich mit zunehmendem Alter die Körperzusammensetzung. Der Körperfettanteil nimmt zu, wobei eine Umverteilung von peripher zu viszeral gespeichertem Körperfett stattfindet und der Anteil der fettfreien Körpermasse verringert sich [Forbes, 1987]. Die Ursachen für die Atrophie der Skelettmuskulatur (Sarkopenie) sind multifaktoriell und bis heute sind die zu Grunde liegenden Mechanismen nicht genau definiert [Marcell, 2003]. In Abbildung 1 sind die bekannten Faktoren aufgeführt, die eine Sarkopenie begünstigen.

Abbildung 1 - Die Sarkopenie beeinflussende Faktoren, welche zum altersbedingten Muskel- und Kraftabbau mit anschliessender Invalidität führen.(Siehe Bildergalerie rechts)



Muskuläre Faktoren
Mit zunehmendem Alter nimmt die Muskelmasse in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht ab [Candow, 2005; Kubo et al., 2003; Lauretani et al., 2003]. Bereits ab dem 25. Lebensjahr beginnt der Faserverlust, welcher mit zunehmendem Alter immer mehr ansteigt [Lexell et al., 1988]. Etwa ein Drittel der Muskelmasse geht zwischen dem 30. und dem 80. Lebensjahr verloren [Tzanoff & Norris, 1977]. 70- bis 80-jährige Männer zeigten gegenüber 30- bis 40-jährigen Männern eine signifikante Abnahme des Faservolumens [Narici et al., 2003]. Im M. vastus lateralis, der im Rahmen der Sarkopenie gegenüber anderen Muskeln starke Veränderungen zeigt, liegen Veränderungen im Elektronentransportsystem vor, die mit dem Verlust an Muskelfasern assoziiert sind [Bua et al., 2002].

Ein Rückgang der Transkription in den Mitochondrien und Skelettmuskelzellen ist direkt verantwortlich für die reduzierte Produktion von mitochondrialen Eiweissen und kontraktilen Proteinen [Aiken et al., 2002; Basu et al., 2002]. Die Abnahme der Synthese der mitochondrialen Proteine führt zu einer Abnahme der mitochondrialen Enzyme und zu einer Abnahme von V&O2 max [Lemura et al., 2000; Short & Nair, 2001]. Beobachtet wurde ebenfalls eine Abnahme der Typ II-Fasern sowie eine geringere Aktivierung der Agonisten mit gleichzeitig erhöhter Aktivierung der Antagonisten [Macaluso & De Vito, 2004]. Eine Abnahme der Na+-K+-ATPase-Aktivität, ein erniedrigter Umsatz an Muskeleiweissen und eine Abnahme der Permeablität der Mitochondrienmembranen werden für den eingeschränkten Energiestoffwechsel verantwortlich gemacht [Poehlmann et al., 1994; Wilson & Morley, 2003].

Ungenügender Gebrauch des Muskels.

Der ungenügende Gebrauch des Arbeitsmuskels bewirkt Einschränkungen des organischen Funktionierens. Infolge der Reizverarmung kommt es nicht nur im Muskel selbst zur Atrophie und zur Substanzeinbusse; die unterforderten vegetativ kontrollierten Systeme werden in Mitleidenschaft gezogen. Leistungsfähigkeit und Funktionstüchtigkeit werden auf ein tieferes epigenetisches Bezugssystem orientiert. Eine solche regressive Entwicklung der bewegungsinduzierten organismischen Adaptation schränkt die Funktionsreserven und damit die Freiheitsgrade des Körpers ein [Israel, 2004].


Die Veränderung der Faserverteilung im Laufe des Lebens.

Untersuchungen an Leichen haben gezeigt, dass die Skelettmuskulatur von Kleinkindern einen deutlich höheren Prozentsatz an Typ I-Fasern aufweist als die Muskeln von Neugeborenen oder Erwachsenen [Elder & Kakulas, 1993; Lexell et al., 1992; Oertel, 1988]. Neugeborene weisen 40 bis 50% Typ I-Fasern auf wobei bei Zwei- bis Fünfjährigen etwa 60% Typ I-Fasern gemessen werden [Elder & Kakulas, 1993; Oertel, 1988]. Zwischen dem fünften und dem zwanzigsten Lebensjahr geht der Anteil an Typ I-Fasern wieder auf etwa 50% zurück [Elder & Kakulas, 1993; Lexell et al., 1992; Oertel, 1988]. Die Typ II-Fasern nehmen an Grösse und Zahl mit zunehmendem Alter stärker ab als die Typ I-Fasern [Larsson et al., 1978; Lexell et al., 1988; Lexell & Taylor, 1991]. Die Typ II-Fasern atrophieren beim älteren Menschen um 57%, die Typ I-Fasern lediglich um 25% [Andersen, 2003]. Interessant ist dabei, dass nur gewisse Muskelfasern atrophieren und andere völlig intakt bleiben [Hepple, 2003].

Die Muskelatrophie mit zunehmendem Alter.
Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer verminderten körperlichen Aktivität, einem veränderten Hormonhaushalt sowie einer verminderten Kalorien- und Eiweiss-Aufnahme [Doherty, 2003]. Fortgeschrittenes Alter und Gebrechlichkeit weisen eine verminderte Synthese von kontraktilen Eiweissen auf, was zu einem progredienten Eiweiss-Verlust im Alter führt [Yarasheski, 2003] und eine Abnahme der Muskelmasse mit sich führt [Candow, 2005]. Die Atrophie der Muskulatur beginnt beim inaktiven Menschen schon etwa ab dem 30. Lebensjahr. Bis zum 50. Lebensjahr sind etwa 10% der ursprünglichen Muskelmasse atrophiert, und mit 80 Jahren sind nur noch etwa 50% vorhanden. Klinisch manifest wird der Abbau der Muskelmasse um das 50. Lebensjahr.

Die Abbildungen 2 und 3 zeigen MRI-Bilder von Oberschenkeln von einem jungen Mann (Abbildung 2) und einer jungen Frau (Abbildung 3) mit genügend Muskelmasse. Im Vergleich dazu zeigen die Abbildungen 4 und 5 MRI-Bilder von Oberschenkeln von einem älteren Mann (Abbildung 4) und einer älteren Frau (Abbildung 5) mit einer deutlich reduzierten Muskelmasse, welche zudem durch Fettgewebe infiltriert sind.

Abbildung 2 - MRI von einem Mann (32 Jahre) der Oberschenkelmuskulatur (Bild von Prof. Dr. Chris Boesch, MR-Zentrum, Inselspital Bern, Schweiz) Abbildung 3 - MRI von einer Frau (26 Jahre) der Oberschenkelmuskulatur (Bild von Prof. Dr. Chris Boesch, MR-Zentrum, Inselspital Bern, Schweiz) Abbildung 4 - MRI von einem Mann (81 Jahre) der Oberschenkelmuskulatur (Bild von Prof. Dr. Chris Boesch, MR-Zentrum, Inselspital Bern)
Abbildung 5 - MRI von einer Frau (79 Jahre) der Oberschenkelmuskulatur (Bild von Prof. Dr. Chris Boesch, MR-Zentrum, Inselspital Bern)


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