Nachdem sich alle Teilnehmer in ihrem neuen Zu Hause eingefunden hatten, wurden sie von Dr. Ancel Keys persönlich empfangen und mit einer Rede noch einmal auf ihren Einsatz eingestimmt. Kurz gefasst erläuterte er, dass nutzbare Studien zum Thema Hunger und Hungersnöte fehlten, und sie auch in direkten Hungergebieten schlecht durchführbar sind.
Für quantitative Studien bedarf es quantitativer Fragestellungen und die daraus resultierenden ebenfalls quantitativen Antworten. Die Maschine Mensch sollte also unter Laborbedingungen möglichst genau analysiert werden.
Der Studienablauf gliederte sich in drei Phasen
Zu Beginn eine 3-monatige Kontrollphase, mit normaler Ernährung. Danach eine 6-monatige „Halbhunger-Phase“, bei dem jeder Proband genau die Hälfte seines Tagesbedarfs erhalten sollte. Zuletzt die Rehabilitationsphase, in der die Studienteilnehmer in kleinere Gruppen geteilt, und ihre Regeneration mit verschiedenen Kalorienmengen getestet werden sollte.
Die Messungen:
In den ersten Tagen wurden diverse Messungen durchgeführt, die letztendlich auch in regelmäßigen Abständen wiederholt werden sollten, um den Einfluss der Energierestriktion auszuwerten. Dazu zählten natürlich das Gewicht und die Verteilung von Fett- zu Muskelmasse, welche mittels Densitometrie (dem hydrostatischen Wiegen) ermittelt wurde. Die Gewichtsverteilung belief sich von 136,4 – 183,9 Pfund, im Durchschnitt 152,7 Pfund. Der durchschnittliche Fettanteil der Probanden belief sich auf 14%, bzw. 21,6 Pfund. Sie befanden sich also alle zu Studienbeginn in einem leicht untergewichtigen bis leicht übergewichtigen Bereich.
Für jeden einzelnen Mitstreiter wurde von Keys eine Vorhersagekurve des zu erwartenden Gewichtsverlusts erstellt. Ziel war ein ca. 25%iger Gewichtsverlust während der 24-wöchigen Hungerphase. Der Abgleich mit dem theoretischen Diagramm wurde bei jedem Wiegen durchgeführt, und sollte nebenbei auch herauskristallisieren, ob jemand sich nicht doch noch anderweitig mit Lebensmitteln versorgte.
Spezifischere Untersuchungen befassten sich u.a. mit der Herzgröße, dem totalen Blutvolumen, Hör- und Sehvermögen, psychologischen Tests und auch der Spermienanzahl. Ein Punkt, welcher den Probanden gleich zu Anfang ziemlich unvermittelt zeigte, dass sie jetzt ein Jahr lang in tatsächlich allen Lebensbereichen überwacht wurden. Die primäre Fragestellung hinter dieser speziellen Messung, und auch einigen Fragen der psychologischen Tests, war „Wie beeinflusst ein fundamentaler Antrieb (Hunger) einen anderen (Sex)?“.
Die physische Leistungsfähigkeit wurde mittels des Harvard-Fitness-Tests ermittelt. Dieser begann mit 20 Minuten Laufen bei 3,5mph (Meilen pro Stunde, ca. 5,63km/h) und einer Steigung von 10%, danach erfolgte eine Steigerungsminderung auf 8,6% und eine Geschwindigkeitserhöhung auf 7mph (ca. 11,27km/h). Dies sollte entweder 5 Minuten dauern, oder beim körperlichen Kollaps enden und mit einer dreimaligen Pulskontrolle zur Überprüfung des Regenerationsfähigkeit abgeschlossen werden. Es handelte sich demnach um einen Maximum Kapazitätstest. Kraft und Koordination wurden ebenfalls geprüft.
Die Ernährung beim Minnesota Experiment:
Für das Experiment wurden 1 Vollzeitkoch, 2 Assistenten und eine Ernährungsfachkraft beschäftigt. Sie hatten zur Aufgabe, die Mahlzeiten nach den vom Labor vorgegebenen Angaben zuzubereiten, und genauestens abgewogen an die jeweiligen Probanden zu verteilen. Es waren nur Mahlzeiten aus dieser Küche erlaubt. Sie wurden während der gesamten Studienzeit gemeinsam in Shevlin Hall, einem alten Gebäude am anderen Ende des Universitätscampus eingenommen, bzw. dort abgeholt und auswärts verzehrt. Das Hauptinteresse lag bei den fertigen Mahlzeiten definitiv auf dem Energiegehalt. Da aber die Vitaminforschung gerade sehr von Interesse (und aus heutiger Sicht sehr jung) war, achtete Keys ebenfalls darauf, dass der Bedarf an den Vitaminen A, D, E, Thiamin und Niacin durchweg gedeckt wurde.
Körperliche und geistige Aktivitäten:
Auch wenn die Männer einen sehr großen Anteil ihrer Zeit in den Gebäuden des Labors verbrachten, waren es ihnen doch erlaubt, sich am sozialen Leben auf dem Campus oder gar außerhalb zu beteiligen.
Allen Probanden wurde eine Arbeitszeit von 15 Stunden pro Woche auferlegt. Das konnte sowohl handwerkliche Tätigkeiten und alltägliche Arbeiten (z.B. Instandhaltungsarbeiten, Wäscherei) als auch Hilfsarbeiten im Labor bedeuten. Weitere 25 Stunden wurden für die Weiterbildung angesetzt. Dafür wurden Vorträge und Kurse von Mitarbeitern des Labors und Gastrednern durchgeführt. Diese behandelten hauptsächlich Fremdsprachen, Soziologie und Politikwissenschaften, da die jungen Männer ein großes Interesse daran hatten, nach dem Krieg (bzw. dem Experiment) im Ausland und der humanitären Hilfe zu arbeiten.
Auch einzelne Probanden, die ein bestimmtes Spezialgebiet hatten (z.B. die Fremdsprachen Deutsch und Französisch) gaben ihr Wissen weiter. Alles in allem sollten weder die geistigen Fähigkeiten leiden, noch Langeweile aufkommen. Ein Teil der Gruppe entschloss sich, ihre Studien an der University of Minnesota zu beginnen oder weiterzuführen, um das Jahr für ihren Abschluss zu nutzen. Andere engagierten sich im künstlerischen Bereich (Theater, Musik). Zur Körperertüchtigung kam eine wöchentliche Laufstrecke von 22 Meilen (ca. 36km) hinzu, welche nach Wunsch in größeren oder kleineren Etappen abgeleistet werden konnte. Dating war ebenfalls erlaubt. Für das Experiment sogar erwünscht, war doch die sexuelle Aktivität, bzw. erst einmal das sexuelle Interesse eben auch ein physiologischer Indikator, der sehr interessiert überwacht wurde.
Die Kontrollphase (19. Nov. 1944 - 11. Februar 1945):
Die ersten drei Monate sollten dazu dienen, die teilnehmenden Männer auf ihr „ideales Gewicht“ zu bringen und unter sorgfältiger Analyse ihrer Nahrungsaufnahme den Punkt der ausgeglichenen Energiebilanz zu ermitteln. Das heißt die Energiemenge, bei der weder eine Gewichtszunahme, noch eine Gewichtsabnahme erkennbar ist. Dazu wurden während dieser Zeit drei ausreichende Mahlzeiten pro Tag gereicht und die Gewichtsveränderungen gemessen. Angepasst an das vorgegebene Aktivitätsniveau kam dabei eine durchschnittliche Kalorienaufnahme von 3210kcal/Tag zustande.
Psychologisch waren die Teilnehmer noch guter Dinge. Insbesondere die, welche an eine so ausreichende Verköstigung nicht gewohnt waren. Auch wenn sich die Ernährung am amerikanischen Durchschnittsbürger orientierte, bekannten einige, selten in ihrem Leben so gut gegessen zu haben. Auch wenn sie sich erst einmal an den Status des „menschlichen Meerschweinchens unter Beobachtung“ gewöhnen mussten, wurde dies doch durch die Möglichkeiten aus dem Labor herauszukommen erleichtert.
Die Eingliederung in das Campusleben fand statt, und eine motivierende Kraft waren auch die Nachrichten vom Kriegsgeschehen im fernen Europa. Zeitlich angesiedelt sind hier zwei Geschehnisse, die emotional für Aufruhr sorgten. Zum einen die Schlacht in den Ardennen im Dezember 1944, welche eine hohe Verlustrate auf amerikanischer Seite beinhaltete. Zum anderen die Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau in Polen am 27. Januar 1945, welche allerdings erst Monate später wirklich von den USA wahrgenommen werden sollte.
Am 11. Februar 1945 endete die angenehme Phase, zeitgleich mit der Konferenz von Yalta, in der die „großen Drei“ Churchill, Stalin und Roosevelt über die Entwicklung von Europa nach Kriegsende debattierten.
(Anmerkung der Redaktion: Die Bilder wurden mit Absicht ausgewählt, konträr zum Thema um eine Spannungsbilanz aufzubauen zu unserem jetzigen Wohlstand und dass man sich gerade des Überflusses wegen kaum vorstellen kann was diese Männer zum Wohle der Wissenschaft freiwillig durchmachten.)