Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft "nebenbei

Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft "nebenbei

Bild von ®Lena Reuter

Wenn ich mit Kollegen oder Freunden über Training und Fitness im Allgemeinen spreche, dann wird mir oft die Frage gestellt, wie ich trotz einer zeitfordernden, unregelmäßigen Arbeit, anderen Hobbies, etc einen so umfangreichen Trainingsplan einhalten kann. Ich antworte meist darauf, dass es absolut nicht notwendig ist, mehrere Stunden täglich zu trainieren. Doch da habe ich es mir wohl zu einfach gemacht, denn wer mich kennt weiß, dass Fitnesstraining ein integraler Bestandteil meines Lebensglückes ist. Ich liebe Training - aber ich verdiene mein Geld damit nicht - folglich muss ich es schaffen, es in meinen engen Zeitplan zu integrieren.



Auf die Sache mit der Simultanität bin ich durch Bruce Lee gestoßen



Ich sah ihn auf einem Schwarz-Weiß-Foto, innig in ein Buch versunken, sich dabei dehnend mit einem Glas Wasser daneben. Mir war sofort bewusst, wie genial sein Zeit-Management sein musste: die meisten Menschen hätten sich 20 Minuten gedehnt, danach 30 Minuten gelesen und danach 5 Minuten Wasser getrunken. Fast 1 Stunde Aufwand für Dinge, die Bruce in der Hälfte der Zeit geschafft hat. Er verband meisterhaft, sich stark auf eine Sache zu konzentrieren (Lesen), während er nebenbei andere Dinge tat, die automatisiert und dementsprechend mit wenig Konzentration durchführbar waren (Trinken, Dehnen, Atmen).



Bruce Lee als Initiator des simultanen Trainings



Ich begann also, selbst nach solchen Verbindungen zu suchen und schaute mir zunächst die Dinge an, die für mich völlig automatisch laufen: Auto fahren (zumindest wenn man nicht grad an einer unübersichtlichen Kreuzung ist), Trinken, Saunieren, Dehnen, das Bestrahlen mit einer Tageslichtlampe, oder wenn während der Arbeit lediglich meine körperliche Anwesenheit gefordert ist.



Dann versuchte ich, diese Aktivitäten mit solchen zu verbinden, die zwar geistig anstrengend, aber zeitlicher Luxus sind: Lesen, Hörbücher, Meditation, Visualisierung, usw.



Beispiele aus meinem Alltag



Herausgekommen sind folgende, beispielhafte Koexistenzen:



- Während des Arbeitsweges mit dem Auto trinke ich einen Liter Tee und höre Hörbücher bzw. Podcasts mit Interviews oder interessanten Sachen. Auf diese Weise habe ich bereits über 50 Bücher, Geschichten, Interviews oder Dokus gehört.



- Während ich im Winter eine Tageslichtlampe zur Lichttherapie und Vitamin-D-Bildung nutze, dehne ich mich ausgiebig und lese nebenbei.  



-Während ich in der Sauna sitze, meditiere oder visualisiere ich und massiere Triggerpunkte.



- Während ich auf der Arbeit eine Wartezeit habe, esse ich gesundes, mitgebrachtes Essen und lese eBooks. Da ich dies seit knapp 7 Jahren so handhabe, möchte ich behaupten, mehr als 100 Bücher auf diese Weise gelesen zu haben. Das ist wahrscheinlich aber nicht mal die Hälfte von dem, was ein Taxi-Fahrer schaffen könnte.                                                                       



- Während der Hausarbeit absolviere ich kurze Sätze Kniebeuge, Wadenheben und Schattenboxen. Weniger für Muskelaufbau, als vielmehr für einen nebenbei gesteigerten Energie-Grundumsatz. Auch dabei kann man Hörbücher und Podcasts abspielen - meine Konzentrationsfähigkeit reicht dafür leider nicht aus.



-Während langer Autofahrten trainiere ich ab und zu mit einer Fingerhantel meine Griffkraft.

An jedem Tag kann man zu jeder Zeit und Situation statische Körperspannungen einbauen. Das verbessert das Körpergefühl und kann sogar zu leichtem Muskelwachstum führen, wenn man es sehr intensiv macht.



Die Grenzen dieser Vorgehensweise



Alles, was man verarbeiten muss, verbraucht irgendwie Ressourcen: Konzentrationsfähigkeit, Aufnahmespeicher und kognitive oder physische Toleranz. Und diese Dinge sind leider nur begrenzt trainierbar - man kann zwar sicherlich ein gewisses Maß an genereller Lernfähigkeit aufbauen - aber irgendwo ist Schluss. Wissen braucht Zeit, um gefestigt zu werden (Synapsenneubildung und -verknüpfung etc.), daher liegt die individuelle Grenze in der Geschwindigkeit der kognitiven Manifestation.



Regeneration



Das ist eigentlich genau das Gleiche, beim Muskel-Training: nach einer intensiven Reizsetzung braucht der Körper eine Zeit der Regeneration. Nicht das möglicherweise zu lasche Training limitiert aber bei den Meisten den Muskelzuwachs, sondern die mangelnde Regenerationsfähigkeit. Wäre dem nicht so, hätte der den muskulösesten Körper, der am öftesten und härtesten trainiert. Tatsächlich hat aber den den besten (ungedopten) Körper, der im Rahmen seiner genetischen Möglichkeiten am intelligentesten (Intensität und Volumen sind ausgeglichen und angepasst) trainiert.  



Das bedeutet für das simultane Trainieren:



Je mehr ich es in meinen Alltag integriere, umso weniger intensiv darf es sein. Wie angesprochen klappt das zum Beispiel sehr gut, wenn man seinen Leistungsumsatz erhöhen will, um "nebenbei" Fett abzubauen. Ich kenne da einen IT-Spezialisten, der sich mit Pommes und Cola an seinem Schreibtisch so fettgefressen hat, dass er mit 30 kaum noch die Treppe hochkam. Er hatte aber weder Bock, von seinem Computer wegzugehen, noch Zeit.



Seine Lösung sah so aus: er kaufte sich einen Pulsmesser, den er rund um die Uhr trug. Dazu eine Art Fahrradergometer (nur Kurbel und Pedale), dass er sich unter seinen Schreibtisch stellte und während seines 14-Stunden-Arbeitstages fast ununterbrochen trat. Nicht besonders schnell oder kraftvoll - aber stetig. So setzte er etwa 1000 zusätzliche Kilokalorien pro Tag um - "nebenbei".



Fazit



In der Gegenwart spielen Begriffe wie "Zeitmanagement" und "Zeitoptimierung" gewichtige, mittlerweile leider aber auch negative Rollen. Der unendliche Verbesserungswahn sorgt für Stress und Konkurrenzdruck - zwei Sachen, die ich mit meiner Intention des simultanen Trainings nicht beabsichtige.



Doch mit etwas konstruktivem Umgang und vielleicht einer Antestphase verschiedener Möglichkeiten lassen sich individuelle Ziele besser und weniger anstrengend verwirklichen!



Euer Patrick Raabe



 



 

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