Training und Fitness: Das relative Leistungsprinzip

Training und Fitness: Das relative Leistungsprinzip

Pexels Mikechie Esparagoza

„Leistung“ - ein Wort, das in unserer modernen Gesellschaft oft negativ behaftet ist. Wenn wir von der europäischen und amerikanischen Leistungsgesellschaft sprechen, meinen wir zumeist das radikale Streben nach Geld, Macht und Besitz. Vor allem im Berufsleben werden oft alle verfügbaren Ellenbogen und Tricksereien eingesetzt, aber auch zwischenmenschliche Beziehungen sind davon nicht unberührt geblieben: „Gib du zuerst, dann gebe ich vielleicht zurück.“ Leistungsdruck ist mittlerweile fast überall angekommen und wird mit immer negativeren Assoziationen belegt.

Doch Leistung an sich ist nichts Negatives, im Gegenteil! Der Stuhl, auf dem wir sitzen, der Teller, von dem wir essen, jeder Film, den wir zu unserem Vergnügen sehen können, ist aus einer Leistung heraus entstanden. Und je mehr Leistung hinter einem Produkt steckt, desto qualitativ hochwertiger ist es in der Regel. Leistung erzeugt also auch Qualität und bringt Neues hervor. Es ist wie beim Wein: Ein guter Tropfen reift durch die Leistung des Winzers, der seine ganze Erfahrung und sein Herzblut in die Arbeit steckt. Und so wie ein guter Wein mit jedem Jahrgang besser wird, so können auch wir durch kontinuierliche Leistung und Weiterentwicklung immer besser werden.

Die Bewertung von Leistung: Das absolute Leistungsprinzip

Das Problem mit unserer Herangehensweise an Leistung ist nur deren Bewertung! Besonders in der Wirtschaft, aber auch im Sport zählt das sogenannte absolute Leistungsprinzip. Nur die allerhöchste Leistung wird geachtet. So kommt es zu enttäuschten Olympia-Zweiten und rücksichtslosen Supermanagern auf ihrem Weg an die vermeintliche Spitze. Nur der Erste bekommt den Ruhm, nur der Beste bleibt in der Erinnerung der Geschichtsbücher. Wie deprimierend für alle Zweiten, Dritten, Vierten, ... Hunderten! Trotz härteren Fitnessrainings, mehr Hingabe, fokussierterer Ausrichtung und längerer Vorbereitung haben sie den Thron nicht besteigen können. Das mangelnde Quäntchen Talent, eine kurze Krankheit, ein tragischer Fall in der Familie, ein winziger Moment der Unaufmerksamkeit oder die Geburt eines Kindes haben den entscheidenden Ausschlag gegeben, am Tag der Abrechnung nicht Erster gewesen zu sein.

Und das Schlimme daran ist, dass dieses Prinzip nicht nur im Sport gilt. Auch im Berufsleben ist es oft so, dass nur die Ellbogenmentalität zum Erfolg führt. Doch was ist mit all den anderen, die hart arbeiten und trotzdem nicht an die Spitze kommen? Sind sie weniger wert? Haben sie weniger geleistet? Natürlich nicht! Jeder Mensch hat seine eigenen Stärken und Talente, und jeder kann auf seine Weise etwas leisten. Es ist an der Zeit, dass wir uns von diesem eindimensionalen Leistungsdenken verabschieden und stattdessen ein ganzheitliches Bild von Leistung entwickeln.

Die Schattenseiten: Doping

Ungerecht? Ich sage: Ja! Abseits der Relation zum eigenen Vermögen heiligt der Zweck einfach nur noch die Mittel: Mangelndes Talent wird mit Doping beantwortet (und das dreht die Relationen massiv!), Konkurrenten werden ausgestochen, Tricksereien verschaffen die noch so geringsten Vorteile (siehe z.B. Formel 1 oder Schwimmen). Der Profisport fungiert im Fitnesssport als schlechtes Beispiel. All das ist das Gegenteil einer guten Welt - und hier fungiert der Profisport ärgerlicherweise als schlechtes Beispiel. Allerdings muss ich eingestehen, dass sich das nie ändern wird.

Vor allem deswegen nicht, weil die meisten Menschen nur bei Sensationen wirklich (wenn auch nur kurzzeitig) aufmerksam sind und weil Spitzensportler einen Stellvertreterkrieg für den übergewichtigen Fernsehzuschauer führen - man schaue sich nur mal eine wild tobende Menge bei der Fußballweltmeisterschaft an, wenn Deutschlands Kicker gewinnen ... als hätte irgendeine der anwesenden Bierleichen selbst auf dem Rasen gestanden ... Und was die Gesundheit betrifft, so ist Doping nicht nur unfair, sondern auch gefährlich. Viele Sportler riskieren ihre Gesundheit, um ihre Leistung zu steigern. Aber ist das wirklich den Preis wert? Ist es das wert, seine Gesundheit für ein bisschen Ruhm und Anerkennung zu ruinieren? Ich denke nicht. Es ist wichtiger, auf seinen Körper zu hören und seine Grenzen zu akzeptieren. Denn am Ende des Tages ist die Gesundheit das Wichtigste, was wir haben.

Das relative Leistungsprinzip: Eine Alternative zum Leistungsdenken

Wie dem auch sei, so habe ich mich dennoch bemüht, eine Alternative zum herkömmlichen absoluten Leistungsprinzip zu finden. Und die steckt im "relativen" Leistungsprinzip! Wie der Name bereits vermuten lässt, setzt man seine erbrachte Leistung dabei in Relation zum eigenen Potenzial. Man fragt sich also: Habe ich bisher alles getan, um mein persönliches, natürliches, gottgegebenes Potenzial auszuschöpfen? Der Vorteil ist hier: Ich muss mich mit anderen nicht leistungsmäßig vergleichen. Nachteile bei Talent, familiärer Situation oder ernährungstechnischer Disziplin spielen keine Rolle mehr.

Vor dem Hintergrund dieser persönlichen Parameter hat man entweder sein Bestes gegeben - oder eben nicht. Der Fokus wird also voll auf Eigenverantwortung gelegt. Man kann sich weder über andere mokieren oder überheben, noch muss man neidisch sein. Der Maßstab liegt rein im Individuellen. Es geht darum, seine eigenen Fortschritte zu sehen und sich selbst zu übertreffen. Und das ist etwas, das jeder Mensch tun kann, unabhängig von seinen Talenten oder seiner Situation. Es ist wie beim Wandern: Jeder Wanderer hat sein eigenes Tempo und seine eigene Strecke. Der eine ist schneller, der andere langsamer. Aber am Ende erreichen alle das Ziel, wenn sie nur ihre eigenen Grenzen respektieren und sich nicht von anderen unter Druck setzen lassen.

Die Vorteile: Eigenverantwortung und innere Stärke

Möglicherweise hört sich das alles wie eine Utopie oder Träumerei an - aber wenn man sich näher mit dem relativen Leistungsprinzip beschäftigt, kann man auch direkte Vorteile daraus ziehen. Neben der Betonung der Eigenverantwortung und dem Wegfallen des Neides auf andere gerät man auch viel weniger in Versuchung, sich "chemische Hilfe" einzuverleiben. Man betrügt nun nämlich nicht mehr andere mit seiner höheren Leistung, sondern rein sich selbst. Zudem verändert sich die Sichtweise auf die sportlichen "Helden" aus dem Fernsehen. Ich möchte deren Leistung nicht schmälern und hege auch keinen Doping-Generalverdacht, doch finde ich es ungesund, wenn sich Otto-Normal-Sportler, oder besonders ambitionierte Jung-Athleten an deren Leistungsniveau orientieren und immer wieder feststellen müssen, wie weit weg sie davon sind.

Und damit meine ich nicht nur Profi-Abteilungen, sondern und gerade auch den Amateursport (z.B. Bodybuilding, Crossfit, Ausdauersportarten). Der große Nutzen des relativen Leistungsprinzips liegt also besonders in der Wirkung auf das Innere eines Sportlers und Menschen. Es befreit von Neid und Ängsten und lenkt die Aufmerksamkeit auf Eigenverantwortung und Einstellung! Es ist wie beim Malen: Jeder Künstler hat seinen eigenen Stil und seine eigene Technik. Der eine malt abstrakte Bilder, der andere realistische. Aber alle haben eines gemeinsam: Sie drücken ihre eigene Kreativität und ihre eigenen Emotionen aus. Und so wie jeder Künstler einzigartig ist, so ist auch jeder Sportler einzigartig. Jeder hat seine eigenen Stärken und Schwächen, seine eigenen Ziele und Träume. Und das ist gut so. Denn Vielfalt macht das Leben interessant und spannend.

Mit diesen philosophischen Worten möchte ich mich für dies Mal verabschieden, Ihr Patrick Raabe

Quellen:
* Eigene Erfahrungen und Beobachtungen
* Sportwissenschaftliche Studien und Erkenntnisse
* Psychologische Forschung zum Thema Motivation und Leistungsdruck

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