Kommen Bodybuilder nie aus der Pubertät – oder was ist das Problem?

Kommen Bodybuilder nie aus der Pubertät – oder was ist das Problem?

Binyamin Mellish PEXELS

Wenn Masse wichtiger wird als Menschenverstand

Es ist eine Szene wie aus einem absurden Theaterstück: Ein muskelbepackter Mann in einem hautengen Stringer-Tanktop steht auf der Fibo Fitnessmesse an der Rolltreppe. Nicht neben ihr. Auf ihr. Und zwar so mittig, dass keiner vorbei kommt. Seine Oberschenkel? So breit wie die Sitzbank in einem Linienbus. Sein Blick? Ernst, fast vorwurfsvoll, als wolle er der Welt sagen: „Ja, ich habe mein Leben der Massephase geopfert. Und du?“ Man fragt sich zwangsläufig, ob dieser Mann – und seine vielen Brüder im Geiste – jemals die geistige Reife einer Pubertät verlassen haben oder ob sie auf ewig zwischen Hantelbank und Proteinshake gefangen sind.

Pubertät 2.0 – Jetzt mit Testosteron-Overkill

Wer glaubt, Bodybuilding sei ein Sport, der täuscht sich. Es ist eine Lebenseinstellung. Eine Philosophie. Ein unendlicher Kampf zwischen Masse und Definition, zwischen Reiswaffeln und moralischem Verfall. Die typischen Vertreter dieser Spezies sind oft über 50, haben eine Hautstruktur wie ein altes Sofakissen und tragen mehr Eigenurin im Bizeps als Testosteron im Blut. Aber nein, sie sind nicht krank – sie sind „dedicated“. Und weil man heutzutage ohne das chemische Upgrade aus der Apotheke kaum noch die Illusion vom ewigen Wachstum halten kann, wird nachgeholfen. Was soll's, sagen sie sich, Leben hat eh nie funktioniert – aber Massephase, die kann ich!

California 2000 – Der Kleinbus der Midlife-Krise

Diese Männer reisen nicht allein. Sie kommen in Rudeln. In matt-schwarz folierten Kleinbussen mit Aufklebern wie „No Pain No Gain“ oder „Train Insane or Remain the Same“. Innen liegt ein Mix aus Chicken-Wraps, leeren Tupperdosen und einer Kreatin-Wolke, die jedes Drogenspürhundetraining auf die Probe stellt. Außen belegen sie mindestens zwei Parkplätze – nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es können. Wahrscheinlich dieselbe rebellische Energie, die früher für Mofa-Rennen vor dem Aldi gereicht hat. Die Fahrzeuge tragen Namen wie „California 2000“, weil das Jahr 2000 vermutlich das letzte war, in dem sie sich jung, stark und unverletzlich gefühlt haben. Heute ist nur noch die Schulter entzündet.

Hormone, Hühnerbrust und Hohlräume

Aktuelle Studien zeigen: Der Langzeitmissbrauch von anabolen Steroiden führt nicht nur zu einer signifikanten Erhöhung des Herzinfarkt- und Schlaganfallrisikos, sondern auch zu neurokognitiven Veränderungen – darunter impulsives Verhalten, depressive Episoden und eine gewisse Form von sozialer Isolation. Was sich in der Praxis zeigt als: „Ich meide Menschen, die keine fünf Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht essen.“ Der Gedanke, dass Muskelmasse ein Sinn des Lebens sein könnte, ist absurd – aber biochemisch erklärbar. Denn das Belohnungssystem im Gehirn springt bei jeder sichtbaren Ader im Bizeps an wie bei einem Lottogewinn. Dopamin meets Dummheit, könnte man sagen.

Wenn die Rolltreppe zur Fitnessprüfung wird

Auf der Fitnessmesse beobachtet man diese Männer dabei, wie sie sich ächzend und prustend die enge Rolltreppe hinaufquälen, als ginge es um Olympia-Gold. Die weiten Treppenstufen? Verwaist. Warum auch? Da müsste man ja laufen. Lieber zwischen zwei Teenagern eingeklemmt stehen bleiben, sich die Protein-Bar auf halber Höhe reinschieben und den eigenen Latissimus vorzeigen wie andere ihre Visitenkarte. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn die hautengen Muskelshirts das wahre Ausmaß der Zerstörung offenbaren: Dehnungsstreifen wie nach Drillingsschwangerschaft, aufgedunsene Haut vom Entwässern, und ein Blick in die Ferne, der sagt: „Ich war mal jemand in der Pumping Zone Dortmund 1998.“

Zwischen Massephase und Pflegegrad

Viele dieser Männer sind längst körperliche Wracks. Ihre Gelenke danken ab, ihre Leber schreibt heimlich SOS. Aber es wird weiter gemacht. Weil es keinen Plan B gibt. Weil ein Leben ohne Sixpack schlimmer erscheint als der Gedanke an eine Gehhilfe mit Handgelenkstütze. Die Wahrheit ist bitter: Wer seinen Körper 30 Jahre lang mit Steroiden, entwässertem Kabeljau und Angst vor Salz gefoltert hat, landet nicht selten vorzeitig im Rollstuhl statt auf dem Siegerpodest. Und nein, das hat nichts mit Altersdiskriminierung zu tun – sondern mit der biologischen Rechnung, die der Körper irgendwann stellt. Und die fällt selten positiv aus, wenn das Immunsystem mehr Testosteronreste als T-Zellen zählen muss.

Reif ist, wer loslassen kann – oder wenigstens die Hantel

Wirklich erwachsen ist, wer sich eingestehen kann, dass es mehr gibt als den Oberarmumfang. Und wer merkt, dass Muskeln kein Ersatz für Charakter sind. In einer Gesellschaft, in der Äußerlichkeiten glorifiziert und Selbstoptimierung zur Ersatzreligion wird, ist der ewig pubertierende Bodybuilder das tragikomische Symbol eines narzisstischen Zeitalters. Er ist der Don Quijote des Fitnessstudios – nur dass er statt gegen Windmühlen gegen das eigene Altern kämpft. Und er verliert. Mit jedem Gelenk, jedem aufgequollenen Trizeps und jedem verzweifelten Blick in den Spiegel.

Quellen:
Aktuelle Studie zur Steroidnutzung und Herz-Kreislauf-Risiken: Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 2023
Neurologische Langzeitfolgen durch Testosteronmissbrauch: Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 2024
Studie zur Selbstwahrnehmung von Bodybuildern: Frontiers in Psychology, 2023

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