„Es gibt einen sehr großen Teil an Hobbysportlern, die systematisch dopen"

„Es gibt einen sehr großen Teil an Hobbysportlern, die systematisch dopen"

So müsste er aussehen, der perfekte Klimmzug für das Fitness-Sportabzeichen

Der Griff zu verbotenen Mitteln bleibt längst nicht mehr auf den Profisport beschränkt. Immer häufiger werden Stimmen laut, dass sich ambitionierte Hobbysportler in den Grauzonen medizinischer Substanzen bedienen, um ihre Leistung zu steigern oder den eigenen Körper zu formen. Dr. Klaus Gerlach, langjähriger Arzt im Spitzensport und betreuender Mediziner etlicher ambitionierter Freizeitathleten, äußert sich besorgt: „Wenn Sie sehen, wie häufig sogar auf Schmerzmittel zurückgegriffen wird, nur um einen Marathon oder eine andere Herausforderung ‘abzusichern‘, begreifen Sie schnell, dass hier die Risikobereitschaft viel zu hoch ist.“ Er spricht von „mehr als 200 000 Hobbysportlern“, die in Deutschland regelrecht experimentieren, sei es mit Diclofenac vor Wettkämpfen oder mit Substanzen, die laut Anti-Doping-Regularien eindeutig illegal sind. Dabei seien sich viele über die Gefahren kaum im Klaren: Magenblutungen, eingeschränkte Lungenfunktion oder dramatische Leberschäden sind laut Gerlach kein abwegiges Szenario.

Die fahrlässige Seite des Breitensports

Unverständlich erscheint vielen Expertinnen und Experten, dass so mancher Freizeitathlet in seinem Hobby nach schnelleren Zeiten oder auffälligeren Muskeln strebt, als hinge die Existenz davon ab. Zwar ist es bekannt, dass Profiathleten nicht selten zum gesundheitlichen Risiko greifen, um Erfolge zu sichern, doch hier steht die Frage im Raum, wie Privatpersonen ohne finanzielle oder berufliche Vorteile zu solchen Maßnahmen kommen. „Oft ist es purer Körperkult“, sagt Gerlach. Die Jagd nach dem perfekten Körper oder nach Anerkennung im örtlichen Laufverein gerät zum Selbstzweck. Aus Ärztensicht ist besonders alarmierend, dass mittlerweile ein System des Austauschs im Untergrund entstanden zu sein scheint. Manches wird laut Gerlach sogar regelrecht geteilt: „Wie Tabletten oder Pillen weitergereicht werden, erinnert an einen gemeinsamen ‚Doping-Wettstreit‘ – ohne offizielle Kontrollen und oft ohne jegliches Unrechtsbewusstsein.“

Unterschätzte Schmerzmittel und fragwürdige Pillen

Der Blick vieler richtet sich zunächst auf die klassischen Anabolika oder Wachstumshormone. Doch Gerlach zufolge herrscht gerade bei scheinbar harmlosen Mitteln wie Voltaren (Diclofenac) ein laxerer Umgang. Diclofenac steht nicht auf der Dopingliste, aber allein schon die prophylaktische Einnahme erhöht das Risiko für Magenblutungen und beeinträchtigt die Bronchien. Weniger bekannt ist, dass eine solche Bronchienreizung bei Ausdauerbelastung zu Atemproblemen führen kann, was paradox wirkt, da man eigentlich die Leistung steigern will. Auch in Profikreisen, etwa im Fußball oder Marathon, ist die vorsorgliche Einnahme vor Wettkämpfen weitverbreitet. Doch während dort wenigstens gelegentlich ein ärztliches Auge über die Praxis schaut, läuft in vielen Fitnessstudios und Marathon-Gruppen alles weitgehend unkontrolliert ab. Dass durch solche Gewohnheiten bereits die Schwelle gesenkt wird, später zu härteren Mitteln zu greifen, ist ein Szenario, das Ärzte zunehmend umtreibt.

Das Internet als Bezugsquelle

Eine dunkle Rolle spielt das Internet, wo der Handel mit leistungssteigernden Substanzen floriert. „Kriminelle Kanäle“, sagt Gerlach, „versorgen Hobbysportler mit Insulin, Wachstumshormonen oder Anabolika, die zu astronomischen Preisen gehandelt werden.“ Eine erschreckende Anekdote ist jene einer Sportlerin, die 3500 Euro für eine sechs Wochen lange „Dopingkur“ mit Wachstumshormonen, Insulin und hochdosierten Steroiden ausgab – nur um am Ende mit massiv erhöhten Leberwerten in seiner Praxis zu stehen. Ein solches Beispiel zeigt, wie weit verbreitet einerseits die Sucht nach schnellen Fortschritten ist und wie wenig Wissen über die Nebenwirkungen besteht. Wer einmal mit diesen Stoffen in Kontakt kommt, gerät in einen Strudel aus Internetforen, in denen allerlei Halbwahrheiten kursieren. Diesem Strudel entkommt man laut Gerlach nur schwer, weil das versprochene Resultat – mehr Muskeln, bessere Ausdauer – zunächst verlockend erscheint.

Doping im Kontext der Selbstoptimierung

Einen wichtigen Aspekt sieht Gerlach in der zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz von Selbstoptimierung. Immer höher gesteckte Ziele im Job, dazu das Streben nach dem perfekten Körper, münden in einer Normverschiebung: „Wenn schon so viele Profisportler dopen, warum sollte ein Freizeitsportler nicht auch diese Schummelei als legitim empfinden?“ In den Medien wirken Dopingsünder selten wie Schwerverbrecher, sondern kehren nicht selten bald in die Ruhmeshalle des Sports zurück. „Erik Zabel wurde kurz nach seinem Dopinggeständnis beinahe wieder gefeiert“, wundert sich Gerlach. Die doppelte Botschaft „Leistung um jeden Preis ist okay, solange man Menschen begeistert“ bahnt sich also auch im Amateurbereich ihren Weg. Hier fehlt es an Aufklärung und einer deutlichen Präsentation der Gesundheitsrisiken, die den Breitensportlern klarmachen sollte, dass sie allein sich selbst schaden – ohne Aussicht auf nennenswerte finanzielle Gewinne.

Warum Ärzte oft zu spät konsultiert werden

Gerlach berichtet in seinem Praxisalltag davon, dass viele Sportler erst Kontakt mit einem Facharzt suchen, wenn bereits unerwünschte Effekte auftreten. Mitgebrachte Fläschchen oder Pillen unbekannter Herkunft sind keine Seltenheit. Er erinnert sich an Fälle, in denen Menschen ihre Leberwerte „just for fun“ überprüfen lassen, weil sie gerade eine inoffizielle Kur probieren wollen. „Sie fragen mich dann, ob ich das Projekt begleiten kann, um zu sehen, welche ‚Fortschritte‘ der Körper macht“, erzählt er. In solchen Situationen reagiert er konsequent und lehnt eine Mitarbeit ab. Die unmissverständliche Botschaft: Wer derart fahrlässig mit seiner Gesundheit umgeht, kann nicht auf medizinisches Wohlwollen hoffen. Dass einige dennoch weitermachen, zeigt, wie tief das Bedürfnis nach schnellen Ergebnissen sitzt.

Wie man gegensteuern könnte

Lösungsansätze sieht Gerlach in einer stärkeren Einbindung seriöser Sportmedizin, in forcierten Aufklärungsprogrammen für ambitionierte Breitensportler und in einer klareren Haltung der Gesellschaft gegenüber Dopingverstößen. Anders als im professionellen Sport fehlen im Amateursegment verbindliche Tests oder Sanktionen; hier müsste man ansetzen, indem man zumindest die Gefährlichkeit solcher Praktiken prominent kommuniziert. Außerdem wäre eine kritischere Berichterstattung hilfreich, die nicht nur von Skandalen im Profisport berichtet, sondern auch von den gesundheitlichen Folgen, die ein Missbrauch bei Laien nach sich ziehen kann.

Verstehen: Eigenverantwortung und realistische Ziele

Angesichts der steigenden Zahl Hobbyathleten, die unkontrolliert zu leistungssteigernden Mitteln greifen, wird deutlich, dass Doping nicht nur ein Thema für Olympia oder die Tour de France ist. Im Fitnessstudio um die Ecke und im Marathonverein nebenan kann derselbe gefährliche Umgang beobachtet werden, häufig angetrieben durch ungeduldige Selbstoptimierung und sozialen Druck. Statt einer kurzfristigen Gewinnmaximierung für den eigenen Körper – vergleichbar mit dem wirtschaftlichen Prinzip, das Unternehmen im Arbeitsleben anwenden – wäre es wünschenswert, wenn mehr Menschen erkennen, dass eine solide, gesunde Entwicklung Zeit braucht. Sportliche Fortschritte, die ohne unethische und gesundheitsschädliche Methoden erzielt werden, haben den Vorteil, dass man sie langfristig genießen kann – ohne das Risiko, in eine Arztpraxis zu kommen und fassungslos feststellen zu müssen, dass man die eigene Gesundheit aufs Spiel gesetzt hat. Gerade im Breitensport sollte der Spaß, nicht der Betrug am eigenen Körper, im Vordergrund stehen.



Interview: Daniel Meuren

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