Warum fängt der Mensch an zu essen, wieso hört er damit auf, und weswegen isst er, was er isst? Diese drei Fragen sind die grundlegenden Forschungsschwerpunkte der Ernährungspsychologie. Banal eigentlich, aber in unserer Zeit, welche von Nahrungsüberfluss und unzähligen Diätprogrammen gekennzeichnet ist, doch eine wichtige Fragestellung. Uns ist theoretisch allen bekannt, wie man sich ernähren sollte. Weniger süß, weniger fett, weniger salzreich, möglichst naturbelassen.
Aber die Theorie in die Praxis umzusetzen fällt schwer. Auch Programme, die von Staat und Krankenkassen gefördert werden, scheitern in zu vielen Fällen. Die Ernährungspsychologie beleuchtet die komplexen Wechselwirkungen zwischen psychologischen, sozialen und biologischen Faktoren, die unser Essverhalten beeinflussen. Aktuelle Studien, veröffentlicht im „International Journal of Eating Disorders“, zeigen, dass emotionale Faktoren wie Stress, Langeweile oder Trauer eine erhebliche Rolle bei der Entstehung von ungesunden Essgewohnheiten spielen. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit, nicht nur die physiologischen, sondern auch die psychologischen Aspekte der Ernährung in Präventions- und Therapieansätzen zu berücksichtigen.
Der soziale Druck, das Körpergewicht in gesunden Grenzen zu halten
Parallel dazu entwickelte sich der soziale Druck, das Körpergewicht in gesunden Grenzen zu halten, oder gar an die untere Grenze des „Gesunden“ zu stoßen, um einem optischen Ideal zu genügen. Rational müsste dies doch möglich sein. Böse Nahrungsmittel streichen, Kalorienzufuhr drosseln, Bewegung ankurbeln, und das Idealgewicht kann kommen. Bei einigen klappt dies, bei dem Großteil der Menschen allerdings nicht. Die moderne Ernährungspsychologie betont, dass soziale Normen und kulturelle Einflüsse einen starken Einfluss auf unser Essverhalten haben. Untersuchungen, publiziert im „Journal of Health Psychology“, belegen, dass der soziale Druck, einem bestimmten Körperideal zu entsprechen, insbesondere bei jungen Menschen zu gestörtem Essverhalten führen kann. Die ständige Konfrontation mit idealisierten Körperbildern in den Medien und sozialen Netzwerken verstärkt diesen Druck und kann zu einer negativen Körperwahrnehmung und ungesunden Diätpraktiken führen.
Das Problem und die Folgen der Adipositas wachsen immer weiter
Während die Wissenschaft immer neue biochemische, physiologische, genetische und hormonelle Erklärungen und auch Lösungsansätze präsentiert, wächst das Problem der Adipositas und ihrer körperlichen Folgen immer weiter. Irgendetwas scheint also im Bereich der Prävention und Therapie zu fehlen. Diese Lücke versucht die Psychologie zu schließen. Bereits in den 70er Jahren begannen die Forschungen zu diesem Thema, wurden aber sowohl in der Informationsverbreitung, als auch in der Ausbildung von Ernährungsfachkräften eher stiefmütterlich behandelt. Dementsprechend ist es auch sehr schwer, passende Primärliteratur zum Thema zu finden, welche auch noch verständlich und praxistauglich aufgemacht ist.
Dieses Defizit wurde von den beiden Autoren Joachim Westenhöfer (Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie/Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg) und Volker Pudel (ehemals Professor für Ernährungspsychologie/Universität Göttingen. Verstorben 2009) aufgegriffen, und in einem relativ kurz gefassten Einführungswerk zusammengefasst. Aktuelle Forschungsergebnisse, veröffentlicht in „Obesity Reviews“, zeigen, dass Adipositas nicht nur durch genetische und physiologische Faktoren, sondern auch durch psychologische und soziale Faktoren bedingt ist. Studien belegen, dass Stress, Depressionen und Angstzustände das Risiko für Adipositas erhöhen können. Zudem spielen soziale Faktoren wie der Zugang zu gesunden Lebensmitteln und die soziale Unterstützung bei der Gewichtsreduktion eine entscheidende Rolle.
Die Menschen essen nicht das, was sie essen sollten
Die zentrale Annahme basiert auf der Tatsache, dass die Menschen eben nicht das essen, was sie essen sollten. Es muss also, neben den rationalen Steuerungsvorgängen, noch weitere Mechanismen geben, die diese begleiten, oder die Vernunft gar komplett überlagern. Die Entscheidungsfindung, was wir wann essen, ist also mitnichten ein reiner Prozess von Wissen und Disziplin. Angereichert mit Praxisbeispielen, Studienbeschreibungen und Rückblenden in die Vergangenheit, werden diese Einflussfaktoren benannt und beschrieben. Ebenso erfolgt eine kurze Einführung in die biologischen Theorien zu Hunger, Appetit und Sättigung, was zum guten Gesamtverständnis beiträgt.
Dazu muss man allerdings sagen, dass die dritte, und letzte Auflage im Jahr 2003 erschienen ist, und damit natürlich nicht mehr dem komplett aktuellen Stand der Biowissenschaft entspricht. Neuere Forschungen im Bereich der Neurogastronomie, veröffentlicht in „Nature Reviews Neuroscience“, beleuchten die komplexen neuronalen Mechanismen, die unser Essverhalten steuern. Diese Studien zeigen, dass das Gehirn nicht nur auf physiologische Signale wie Hunger und Sättigung reagiert, sondern auch auf sensorische Reize wie Geruch, Geschmack und Textur von Lebensmitteln. Zudem spielen emotionale und kognitive Faktoren eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Essgewohnheiten und -präferenzen. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der sowohl die biologischen als auch die psychologischen Aspekte der Ernährung berücksichtigt.
Übersichtlich: Die Einteilung des Buches
Die Einteilung des Buchs erfolgt in recht kurz gehaltenen Kapiteln, welche das Wichtigste zum jeweiligen Thema zusammenfassen und erklären. Der Schreibstil befindet sich zwar fachlich auf hohem Niveau, ist aber erfreulicherweise weit weniger trocken, als man es von Fachliteratur erwartet. Dementsprechend können auch interessierte Laien es wagen, sich mit diesem Themengebiet auseinanderzusetzen. Psychologische und biologische Einflussnahmen bis hin zur Adipositas und gestörtem Essverhalten. Inhaltlich beginnen die Autoren mit einer kurzen Einführung in die Ernährungspsychologie, inklusive Arbeitsweisen, Zielgebiete und einer Bestandsaufnahme des Ist-Zustands des deutschen Essverhaltens.
Der Bogen spannt sich weiter über die psychologischen und biologischen Einflussfaktoren der Ernährung hin zur Adipositas und den Hauptformen gestörten Essverhaltens, namentlich Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und die Binge Eating Disorder. Auch die „Vorstufe“ zum gestörten Essverhalten, das sogenannte „Restrained Eating“ (gezügeltes Essverhalten) wird ausführlich beschrieben, wobei sehr deutlich erklärt wird, weswegen unflexible, und für die jeweilige Person unpassende Diäten nicht dauerhaft wirksam sein können. Abschließend werden die Bereiche Ernährungsberatung, Marketing und Kommunikation behandelt, und Lösungsansätze vorgeschlagen.
Ein weiteres wichtiges Thema: Die Setpoint-Theorie
Ein weiteres behandeltes Thema umfasst die Setpoint-Theorie, welche mitunter stark umstritten ist. Da die Verfasser allerdings maßgeblich an diesem Forschungsschwerpunkt beteiligt waren, finde ich es persönlich legitim, dieser Thematik in diesem Buch ihren Raum zu lassen. Insbesondere, da sie nicht als Faktum beschrieben wird, sondern eben als Theorie, welche (noch) nicht klar bewiesen wurde. Damit heben sich diese beiden Autoren positiv von anderen ab, welche gern Erkenntnisse als absolut gesichert darstellen, obwohl dies noch nicht wirklich der Fall ist. Aktuelle Studien, veröffentlicht in „Physiology & Behavior“, untersuchen die Rolle des Hypothalamus und anderer Gehirnregionen bei der Regulation des Körpergewichts und des Essverhaltens. Diese Forschungen tragen dazu bei, die komplexen Mechanismen der Setpoint-Theorie besser zu verstehen und neue Ansätze zur Behandlung von Adipositas und gestörtem Essverhalten zu entwickeln.
Ernährungspsychologie – eine Einführung“ von Volker Pudel und Joachim Westenhöfer
Pflichtprogramm für alle, die engagiert in der Gesundheitsberatung tätig sind, oder es sein wollen. Auch für Laien kann es eine durchaus interessante Lektüre darstellen. Der Inhalt befähigt dazu, die Ernährung von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten, woraus man durchaus seine Lehren ziehen kann, sei es nun für sich selbst, oder die Arbeit. Schade, dass aus dieser Feder nur diese Einführung entsprungen ist. Ein komplettes Basislehrbuch zum Thema wäre eine gelungene und wünschenswerte Fortsetzung. Die Bedeutung der Ernährungspsychologie in der modernen Gesundheitsversorgung ist unbestritten. Die Fähigkeit, psychologische Faktoren in die Ernährungsberatung zu integrieren, ermöglicht es, individuelle Bedürfnisse und Herausforderungen besser zu berücksichtigen und somit effektivere und nachhaltigere Lösungen zu entwickeln. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ernährungsberatern, Psychologen und Ärzten ist entscheidend, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Ernährung und Psyche zu verstehen und ganzheitliche Behandlungsansätze zu entwickeln.